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Vor 30 Jahren befinden wir uns mitten in den Baseballschlägerjahren. Rechtsradikale zünden Häuser an und töten Menschen, - in Mölln, Solingen und Rostock. Davon betroffen ist auch Mevlüde Genç. Um sie, Engagement gegen Rechts und den musealen Umgang mit der Zeit ab 1990 geht es in dieser Folge.Rosenplänter: Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an die Bilder aus Solingen 1993. An dieses ausgebrannte, weiße Haus mit dem vollkommen zerstörten Dachstuhl. Das war das Haus, in dem Mevlüde Genç mit ihrer Familie gewohnt hat. Das Feuer haben vier Rechtsextremisten gelegt. Dabei sterben zwei von Mevlüde Gençs Töchtern, zwei ihrer Enkelinnen und eine Nichte. Trotz dieses Erlebnisses haben Hass und Rache keinen Platz in Mevlüde Gençs Leben. Stattdessen setzt sie sich ihr Leben lang ein, für Integration, Frieden und Versöhnung. Dafür bekommt sie auch das Bundesverdienstkreuz. Menschen wie Mevlüde Genç werden in unserer Gesellschaft gebraucht. Damals wie heute. Rassismus, Rechtsextremismus und wie Museen damit umgehen – das sind die Themen dieser Zeitgeschichte, mein Name ist Meike Rosenplänter. Das Haus von Familie Genç wurde am 29. Mai 1993 angezündet. Es war einer dieser Tiefpunkte der so genannten Baseballschlägerjahre. So werden die Jahre seit der Wiedervereinigung genannt, die besonders von rechter Gewalt geprägt sind. Die bis heute nachwirken und bis heute anhalten. In den 1990er Jahren gab es besonders viele rechtsextreme und rechtsradikale Anschläge, sagt Uta Bretschneider. Sie ist Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig.
Bretschneider: Der erste Jahrestag der deutschen Einheit ist ja sogar als Tag des Hasses in die Presse eingegangen und es gab die Anschläge von Hoyerswerda, Rostock, Lichtenhagen, Mölln und Solingen. Und wir haben aber danach nur eine scheinbare Entspannungsphase gehabt, sondern es ging natürlich im Prinzip die ganze Zeit mit rechtsextremen Gewalttaten weiter.
Rosenplänter: Die Zahlen sind erschreckend: Allein zwischen September 1991 und Juli 1993 registrieren die Behörden mehr als 1200 Brandanschläge auf Häuser, die von Geflüchteten und Menschen aus eingewanderten Familien bewohnt werden. Dazu kommen mehr als 2700 schwere Körperverletzungen aus rassistischen Motiven. Zwischen 18 und 50 Menschen werden bei Angriffen und Anschlägen getötet. Die Zahlen gehen deshalb so weit auseinander, weil politisch motivierte Kriminalität erst seit 2001 als eigene Kategorie in der Kriminalstatistik auftaucht. Die Zahlen sind also vor allem von Opferinitiativen – und damit eventuell nicht vollständig. Natürlich beschäftigt das Erlebte nach all den Jahren immer noch vor allem die, die darunter gelitten haben – sagt Manfred Wichmann. Er ist der Sammlungsdirektor unserer Stiftung.
Wichmann: Das muss man sich ja klarmachen, dass all diese Menschen auch heute noch unter den Folgen leiden, sowohl körperlich, vor allem Dingen aber natürlich seelisch. Und das ist natürlich durchaus schwierig, wenn wir dann über diese Brandanschläge in unserer Ausstellung, aber auch in unserer Vermittlungsarbeit sprechen und Objekte auch präsentieren wollen.
Rosenplänter: In unserer Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn haben wir unter anderem ein Telefon aus einem der beiden Häuser, die am 23. November 1992 in Mölln gebrannt haben.
Wichmann: Es ist ein stark durch die Hitze deformiertes Telefon, man erkennt es noch, man sieht aber in dieser starken Deformation, dem verbrannten Plastik, wie stark die Hitze da gewesen ist.
Rosenplänter: Drei Menschen sterben bei diesem rechtsradikalen Anschlag, darunter zwei Kinder. Auch solche Objekte zu zeigen – trotz und gerade wegen ihrer brutalen Entstehungsgeschichte – ist laut Manfred Wichmann sinnvoll.
Wichmann: Ich glaube, es ist wichtig mit Original-Objekten, beim Publikum, gerade bei jüngeren Besucherinnen und Besuchern, die diese Zeiten nicht selbst miterlebt haben, dass man dort erst mal Neugierde weckt, dass man vielleicht auch Fragen aufwirft. Mauerfall und Brandanschlag in Mölln, das lag gerade mal zwei Jahre auseinander. Diese Widersprüche in der Geschichte eben auch deutlich machen und vielleicht noch gar nicht so sehr mit einer eigenen Interpretation, mit einer eigenen Festlegung zu präsentieren, sondern tatsächlich Fragen aufzuwerfen, Neugierde zu wecken.
Rosenplänter: Andere Objekte, die wir aus diesen Jahren gesammelt haben, sind:
Wichmann: Wir haben eben auch solche Baseballschläger, die als Gewaltwaffen dort eingesetzt worden sind, die aus den Landeskriminalämtern teilweise stammen. Und diese Baseballschläger wurden eben als Waffen eingesetzt. Und wenn man sich die anschaut, die sind mit schwarz rot goldenen Bändern umwickelt, die sind mit rechtsextremen und rassistischen Aufklebern beklebt oder auch mit selbst gemachten Hakenkreuzen versehen. Also wir haben tatsächlich Waffen, dazu gehören auch Schlagringe, Messer etc. in unserem Bestand.
Rosenplänter: Aber: Die Szene besteht ja nicht nur aus Menschen mit Baseballschlägern, Schlagringen und Messern. Teil des Problems ist, dass Rechtsextremismus an manchen Orten in dieser Zeit alltäglich ist, mit spezieller Kleidung und eigener Musik.
Wichmann: Das sind zu der Zeit noch Musikkassetten oder auch CDs, die verteilt worden sind. Auch die haben wir in unseren Beständen. Und natürlich auch Propaganda, also Broschüren, Flyer, Fanzines, die dazugehören. All das sind Materialien, die wirklich diese Vielfalt der rechtsextremen Szene dokumentieren.
Rosenplänter: Die Anschläge und der Alltagsrassismus in den 90er Jahren ist die eine Seite. Aber zum Glück gibt es auch eine große Gegenbewegung mit Protesten, mit Aktionen und Demonstrationen. Diese Komplexität zu zeigen, das ist Aufgabe unseres Museums. Und deshalb sind auch die Reaktionen der Bevölkerung auf diese rassistischen Brandanschläge bei uns gesichert. Zum Beispiel:
Wichmann: Ein Foto mit einem Banner „Mach meinen Kumpel nicht an“, das war damals eine sehr bekannte Aktion aus einem Essener Stahlunternehmen, was eben auch eine Reaktion auf die Brandanschläge in Mölln gewesen ist, dass eben gesagt wurde, dort ist für Fremdenfeindlichkeit kein Platz.
Rosenplänter: Sehr bekannt wurde auch eine Plakataktion der Deutschen Städte-Reklame GmbH. Nach dem Brandanschlag in Solingen 1993, also dem Anschlag auf die Familie von Mevlüde Genç, von der ich schon am Anfang erzählt habe, wurden dafür deutschlandweit Plakate geklebt. „Dein Christus ist ein Jude“, steht da drauf, „Dein Auto ein Japaner. Deine Pizza italienisch, Deine Demokratie griechisch. Dein Kaffee brasilianisch, Dein Urlaub türkisch, Deine Zahlen arabisch, Deine Schrift lateinisch. Und Dein Nachbar NUR ein Ausländer?“
Wichmann: Die Kampagne hat sich gezielt gegen diese rechtsextremen Auswüchse und natürlich vor allen Dingen gegen die Gewaltverbrechen gerichtet. Und das ist ein wichtiger Punkt: Wir wollen eben nicht nur die historischen Ereignisse und Prozesse, die direkt stattgefunden haben, dokumentieren, sondern eben auch die Auswirkung auf die deutsche Gesellschaft. Und dazu gehören auch diese Gegenreaktionen, die Solidaritätsbekundungen. Und deswegen ist diese Plakatkampagne für uns eben auch ein wichtiger Punkt. Diese Kampagne mit Original-Plakaten und Dokumenten und Broschüren in unserer Sammlung zu dokumentieren.
Rosenplänter: Auch von anderen Kampagnen gegen Rechtsextremismus haben wir Objekte in der Sammlung. Unter anderem von einer Demo, nach dem Brandanschlag von Rostock im August 1992.
Wichmann: Wir haben zum Beispiel einige dieser originalen Lichterketten von einer der größten Demonstrationen, die in München stattgefunden haben, am 6. Dezember. Und solche Aktionen, solche Bündnisse, da versuchen wir auch gezielt von solchen Aktionen, Materialien und Original-Objekte auch hineinzubekommen. Wichtig ist dabei, dass man immer auch den Kontext und vielleicht auch originale Stimmen damit dokumentiert, also nicht allein die Objekte sichert, sondern auch: Warum wurden genau diese Aktionen gemacht? Warum sind bestimmte Motive ausgewählt worden? Und ein zunehmender Bereich ist eben auch das Gedenken an die Opfer.
Rosenplänter: Aber trotz aller Zivilcourage, die die Bevölkerung nach den Anschlägen in Mölln und Solingen gezeigt hat: Alltagsrassismus, rechtsextreme Anschläge und Attentate gibt es auch heute noch. Und deshalb sammeln wir weiter. Uta Bretschneider:
Bretschneider: Auf jeden Fall. Der Slogan des Museums ist ja sozusagen ‚Von der Straße ins Museum‘ und da gehören auch diese traurigen Extreme dazu. Und wir haben den Schreibtisch Walter Lübckes in die Sammlung aufnehmen können und eine Gebetskette des ersten NSU-Opfers. Ich weiß auch, dass die Kolleginnen und Kollegen versucht haben, die Tür aus Halle, die im Prinzip ja Schlimmeres verhindert hat, für die Sammlung aufzunehmen, aber die ist mittlerweile ja Teil eines Kunstwerks vor Ort, sodass sie nicht in unseren Bestand kommen konnte.
Rosenplänter: Walter Lübcke war hessischer Regierungspräsident und wurde 2019 vor seinem Wohnhaus von einem Rechtsextremisten mit einem Kopfschuss ermordet. Über die Gebetskette von Enver Şimşek, dem ersten Opfer des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund, NSU, haben wir schon vor einiger Zeit eine Podcastfolge gemacht - Hört gerne einmal rein, wenn ihr die noch nicht kennt. Und der Anschlag in Halle war im Oktober 2019, da hat ein Rechtsextremist versucht, mit Waffengewalt in die dortige Synagoge einzudringen. Er hat es zum Glück nicht rein geschafft, die Tür hält stand, sodass ein Blutbad verhindert wird. Dafür hat der Täter dann aber zwei Menschen außerhalb der Synagoge erschossen. Also: Deutschland hatte nicht nur in den 1990er Jahren ein Problem mit Rechtsextremen, sondern auch heute. Und zwar Deutschland als Ganzes, sagt Uta Bretschneider, nicht nur Ostdeutschland - auch wenn das oft also Hochburg der rassistischen und rechtsextremen Vorfälle wahrgenommen wird.
Bretschneider: Aber wir haben natürlich im Ostteil des Landes den Fall, dass dort eigentlich weniger Begegnungen mit Menschen, die von woanders herkommen, stattfanden und stattfinden. Und dass so natürlich auch weniger positive Begegnungen und Bekanntschaften entstehen und dass deshalb durch zu wenig Kontakt so eine Grundeinstellung vielleicht wachsen kann. Und es gibt natürlich auch den diffusen Neid, verbunden mit dem Gefühl, seit 1989 so ein bisschen ‚Deutscher zweiter Klasse‘ zu sein. Aber wichtiger als Ost und West, das sagen Studien, ist eigentlich die Sozialisierung, ist der Bildungsgrad, ist die eigene politische Verortung und die Zustimmung zur jeweiligen Partei.
Rosenplänter: Rechtsextremismus gehört zur Geschichte der Bundesrepublik genauso wie zur Geschichte der DDR und des Wiedervereinigten Deutschlands. Deshalb nimmt das Thema jetzt auch eine größere Rolle in der Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig ein. Der Schlussbereich ist neu gestaltet und die rechtsextreme Gewalt seit 1990, also die so genannten Baseballschlägerjahre, wird mit thematisiert.
Bretschneider: Es ist natürlich ganz wichtig, dass auch diese Themen in unser kulturelles Gedächtnis Eingang finden und wir da auch so ne Vielstimmigkeit erreichen und den Opfern und ihren Geschichten Sichtbarkeit verleihen, aber eben auch daran erinnern, dass es einen Kontext gibt, dass es eine lange Dauer dieser Gewalttaten gibt und dass unsere Häuser auch Orte der Reflexion über diese Themen sein sollen.
Rosenplänter: Die dann auch aufzeigen, dass Rechtsextremismus und Rassismus in der deutschen Gesellschaft auch heute noch ein Problem sind, gegen das wir angehen müssen. Damit nicht noch mehr Menschen getötet werden, weil sie angeblich nicht hierher passen. Kommt doch gerne mal in Leipzig vorbei, schaut Euch die neu gemachten Ausstellungsbereiche an und dann freuen wir uns auf Euer Feedback. Wenn Euch diese Podcast-Folge gefallen hat, freuen wir uns sehr über Empfehlungen – Freunde, Familie, Arbeitskollegen – gerne allen von uns erzählen. Und abonniert doch gerne unseren Kanal – falls Ihr das nicht eh schon gemacht habt. Dann werdet Ihr sofort informiert, wenn es wieder eine neue Folge Zeitgeschichte(n) – Der Museumspodcast gibt. Bis dahin, machts gut.
Meike Rosenplänter, Moderation
Dr. Uta Bretschneider, Abteilungsleitung Standort Leipzig
Dr. Manfred Wichmann, Sammlungsdirektor
1993 - Baseballschlägerjahre