1962 - Tränenpalast
  • Der Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße ist für Viele, die die DDR verlassen, der Ort, an dem sie sich von Freunden und Familie verabschieden, ungewiss für wie lange. Deshalb wird er bis heute "Tränenpalast" genannt. Aber das Gebäude ist so viel mehr: Tanzpalast zwischendurch - und heute Museum.

    Rosenplänter: In Berlin, wunderschön an der Spree, direkt neben dem Bahnhof Friedrichstraße steht ein gläsernes Gebäude. Nicht sonderlich hoch, mit einer grau-blauen Stahlkonstruktion und einer runden Seite da, wo der Eingang ist. Sieht von der Architektur her ziemlich nach 1960er-Jahre aus und das ist auch genau die Zeit, in der das Ganze gebaut wurde. Die Rede ist vom Tränenpalast und damit herzlich willkommen zu dieser Zeitgeschichte. Mein Name ist Meike Rosenplänter. Das Gebäude, das wurde früher genutzt als Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße. Heute ist da unsere Ausstellung Ort der Deutschen Teilung drin zu sehen und das Gebäude, das ist das größte Objekt dieser mit einer sehr interessanten Geschichte, die uns Dr. Mike Lukasch erzählen kann. Er leitet unsere zwei Museen in Berlin, also das Museum in der Kulturbrauerei und den Tränenpalast. Hallo Herr Lukasch.

    Lukasch: Ja, hallo Frau Rosenplänter.

    Rosenplänter: Wofür wurde dieses Gebäude denn ursprünglich gebaut?

    Lukasch: Ja, ursprünglich wurde das Gebäude als Grenzübergangsstelle genutzt, also das heißt als Ort, an dem man passieren musste, um aus Ost-Berlin, der DDR, nach West-Berlin, die Bundesrepublik, zu reisen. Und das wurde wiederum erst nötig, nachdem 1961 die Mauer in Berlin gebaut wurde und dementsprechend man ein solches Gebäude überhaupt erst benötigte.

    Rosenplänter: Das Gebäude wurde vom Architekten Horst Lüderitz gebaut. Was wissen wir von ihm? Was hat seinen Stil inspiriert?

    Lukasch: Horst Lüderitz war Reichsbahnarchitekt, also hat im Auftrag der Reichsbahn Gebäude geplant, Bahnhöfe geplant, Abfertigungshallen. Eigentlich dieser Art gar nicht in dem Arbeitsbereich gehabt. Aber es war dann dieser relativ schnelle Ablauf, 1961 der Mauerbau, und so brauchte man ganz dringend jemanden, der eigentlich ein Einreisegebäude plant, das nämlich am Bahnhof Friedrichstraße stehen sollte. Dafür ist es wichtig zu wissen, dass es ein ganz entscheidender Verkehrsknotenpunkt war und ist, der Bahnhof Friedrichstraße hier in Berlin. Und so wurde Horst Lüderitz beauftragt, ein Einreisegebäude zu entwerfen, um die Menschen in der DDR willkommen zu heißen.

    Rosenplänter: Und wie wurde es dann zum Ausreisepunkt? Man hat relativ schnell gemerkt, dass die Planungen, die doch sehr rudimentär in Teilen waren, eine Stadt zu teilen, nicht aufgegangen sind. Also da hatte man auch das Verkehrsaufkommen und vor allem die Infrastruktur unterschätzt, die am Bahnhof Friedrichstraße besteht. Es gibt ja dort Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen, die auch während der Teilung weiter bedient wurden.
    Und so hatte man sich ursprünglich gedacht, dass man das alles im Bahnhof abfertigen kann, aber sehr schnell gemerkt, dass das nicht geht und dass man ein solches Gebäude braucht. Und man hat dann eben gedacht, na ja, man macht ein modernes, funktionales Einreisegebäude. Da die DDR aber kein normaler Staat war, sondern eine Diktatur und das bedeutet, dass man sehr viel strenger und anders kontrollieren musste, war relativ schnell klar, dass das neue Gebäude dann eben als Ausreisepavillon benutzt werden würde, als Grenzübergang benutzt werden würde. Und das widersprach eigentlich dem ursprünglichen Gedanken auch des architektonischen Hintergrunds.

    Rosenplänter: Wenn Sie sagen, dieses Gebäude lag an einem der Hauptverkehrsknotenpunkte in Berlin, warum war dieses Grundstück noch frei?

    Lukasch: Ja, das geht wieder weiter zurück. Berlin hat ja eine sehr, sehr lange Geschichte auch der Stadt Umplanung und Neubauten. Tatsächlich ist das Anfang des 20. Jahrhunderts frei geworden, als man eine Akademie, die dort stand, abgerissen hat und auch seitdem über dieses, wie es hier heißt, Spree-Dreieck nachgedacht hat. Es gab einen Wettbewerb in den 20er Jahren zur Bebauung dieses Spree-Dreiecks. Da waren ganz bekannte Architekten dabei. Der bekannteste Entwurf ist von Ludwig Mies van der Rohe, der ein Glasgebäude auf diesem Dreieck errichten wollte. Und es ist dann aber nie zu einem wirklichen Bau an dieser Stelle gekommen. Aus unterschiedlichen Gründen, Streitereien, dann kam natürlich auch der Zweite Weltkrieg dazu und so ist es eigentlich immer ein Stück, auch ein Stück Traum gewesen, was man auf diesem Spree-Dreieck wohl verwirklichen könnte.

    Rosenplänter: So, und dann wurde da dieses moderne Glas-Stahl-Gebäude hingesetzt. Was haben denn die Berliner dazu gesagt? Fanden die das gut?

    Lukasch: Ja, man muss schon sagen, dass in der Zeit andere Themen überwogen. Also dieser Mauerbau, der doch für viele Menschen in Berlin sehr überraschend kam. Berlin war ja, wenn Sie so wollen, auch zur Zeit der Teilung ja noch eine halbwegs offene Stadt. Man konnte von Ost nach West reisen. Viele Menschen, die in Ost-Berlin gewohnt haben, haben in West-Berlin gearbeitet oder andersrum. Und so war eigentlich die Teilung, die Mauer natürlich das Hauptthema, das es dort zu besprechen galt. Und als das 62 dann in Betrieb genommen wurde, da war ja schon klar, dass Reisen für Bürger aus der DDR eben nur noch ganz in Ausnahmefällen möglich sind. Und so bekam dieses Gebäude jenseits seiner architektonischen Ausrichtung natürlich eine ganz andere Relevanz. Die Menschen haben es eben als den letzten Ort wahrgenommen, über den man gehen muss, wenn man die DDR verlassen will. Und insofern war es eigentlich von Beginn an sehr emotional aufgeladen.

    Rosenplänter: Wir gehen ja in der nächsten Folge nochmal genauer in den Tränenpalast, aber vielleicht können Sie uns ja schon mal erklären, wie diese Station überhaupt aufgebaut war.

    Lukasch: Nachdem man die Funktion geändert hatte, also aus dem Einreise- und Ausreisegebäude gemacht hatte, war es so, dass wenn man oberhalb des Gebäudes reinkam, da der Eingang befindet sich etwa auf der Höhe der Brücke oder des Bürgersteigs zur Spree hin. Man ging also oberhalb rein und musste dann drei, vier Stufen runtergehen, um dann zunächst zur Bank, zum Bankschalter zu gehen, nämlich sein DDR-Geld umzutauschen bzw. dort zu lassen. Dann gab es eine Zollkontrolle, die sich in der Mitte befunden hat, wo man seinen Koffer öffnen musste. Und dann erst konnte man weitergehen zur Passkontrolle. Hier dauerte es dann natürlich eine gewisse Zeit, bis man dann die Freigabe bekommen hat, in den Bahnhof weiterzugehen. Und das ist das Besondere an diesem Gebäude. Wenn man es heute sieht, es ist ganz wichtig, das mit dem Bahnhof zusammenzudenken. Denn alleine hatte das Gebäude gar keine Funktion. Erst durch die Verbindung zum Bahnhof gelangten dann die Menschen, die aus der DDR ausreisen durften, dann auch zu den Zügen.

    Rosenplänter: Das klingt jetzt alles so, als wären das ja eigentlich Sachen, die, naja, nicht so ganz offen sein sollten. Wie passt das denn dann mit der Offenheit dieses Gebäudes zusammen?

    Lukasch: Ja, das ist der große Widerspruch an diesem Gebäude. Denn als Einreisegebäude ergab diese Architektur durchaus Sinn. Die Überlegung war, sie kommen am Bahnhof Friedrichstraße an, so wie die Machthaber der SED sich das vorstellten, in einem modernen sozialistischen Staat, in der Hauptstadt der DDR. Sie würden aus dem Bahnhof durch einen Tunnel in diesen Tränenpalast hineinkommen oder in diese Empfangshalle. Und das architektonisch Besondere ist, dass das Dach sich nach vorne hin aufrichtet, also trapezförmig dann nach oben weg geht. Die Decke war in einem hellen Blau gestrichen mit abgesetzten weißen Kassetten, die aussahen wie Wölkchen. Und so sollte man also in die schöne Welt des Sozialismus kommen. Dass man die Funktion dann umgedreht hatte, brachte genau die Probleme, die sie beschreiben, mit sich. Nämlich, dass es eigentlich viel zu Licht durchflutet, viel zu einsehbar und viel zu offen war und auch in der umgekehrten Funktion gar nicht mehr so richtig funktionierte. Und so hatte man von Beginn an eigentlich mit all diesen architektonischen Besonderheiten, die auch heute noch sehr schön aussehen, für den dann verwendeten Zweck große Probleme. Also man musste die Fenster abkleben zum Teil oder verhängen, man musste Kabinen bauen, man hat versucht, Wege dort zu finden, das Ganze dann nicht mehr ganz so transparent zu machen. Und das ist der Widerspruch, der mit diesem Gebäude bis heute verbunden ist.

    Rosenplänter: Viel Glas, Lichte, Fenster, Sonnenstrahlen, Wolkendecke, das klingt alles irgendwie sehr fröhlich und gar nicht nach Tränen. Wieso heißt dieses Gebäude dann Tränenpalast?

    Lukasch: Ja, wie gesagt, die Idee war ja, dass man auch fröhlich sein sollte, wenn man in die Hauptstadt der DDR kommt. Als Ausreisepavillon ist es natürlich eine ganz andere Situation, wenn Menschen ausreisen durften, was sie ja erst dann in den 80er Jahren vermehrt dürfen, die meisten dürfen ja gar nicht aus der DDR ausreisen. Und so ist das Gebäude, der letzte Ort oder vor dem Gebäude, der letzte Moment, wo man sich von den Menschen, die dann die DDR verlassen dürfen, verabschieden musste. Und das ist natürlich in einer Zeit, in der man nicht wusste, ob man sich wieder sieht, wann man sich wieder sieht, sehr, sehr emotional. Und so hat dieses Gebäude viele, viele Namen bekommen. Tränenbunker ist auch etwas, Tränenpalast hat sich so ein bisschen durchgesetzt, weil es immer mit Emotionen verbunden war, immer mit der Trauer, dass man sich hier wirklich verabschieden musste und eben nicht sagen konnte, ja, ich komme nächstes Jahr wieder, sondern vielleicht ist der Abschied sogar für immer. Das war die Dimension, in der man damals denken musste.

    Rosenplänter: Und dann kam der Fall der Mauer und alle Grenzübergänge wurden überflüssig. Was ist denn dann aus dem Tränenpalast geworden?

    Lukasch: Ja, zunächst mal sind die Kontrollen ja zumindest sporadisch weitergegangen, auch nach dem Fall der Mauer. Aber sie haben natürlich schon ihren Schrecken verloren. Das sind ganz spannende Bilder, die wir auch in der Ausstellung zeigen von Diensthabenden, die eigentlich gar nicht mehr wissen, was sie da genau machen sollen. Und dann ist es erst ab dem 1. Juli mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, dass die Grenzen, ja, wirklich 1990 wegfallen. Und der Tränenpalast wird abgeschlossen. Die Dinge im Tränenpalast werden abgebaut. Alles, was man noch verwenden kann, wird verwendet. Und ansonsten zieht man im Prinzip weiter. Und das ist ganz wichtig für Berlin-Besucher heute: der Bahnhof Friedrichstraße war nicht das beliebte Zentrum, das es heute ist, sondern es war so ein bisschen am Rand. Der Fokus lag auf ganz anderen Gebieten in Berlin, zum Beispiel auf dem Potsdamer Platz. So geriet diese Ecke so ein bisschen in Vergessenheit. Es war zwar immer noch ein Verkehrsknotenpunkt, aber was die Infrastruktur anging, passierte erst mal nicht so viel. Und insofern ist der Tränenpalast dann entdeckt worden, dann, wie es in den 90ern in Berlin üblich war, als Veranstaltungsort in Besitz genommen worden. Da es auch keine konkreten Forderungen gab, da etwas einzuhalten, konnte man da also tatsächlich tanzen lernen. Salsa oder Kabarett sich anschauen.

    Rosenplänter: Ist das Gebäude denn in der Zeit dann irgendwie groß umgebaut worden oder ist das heute noch so in etwa so, wie es früher war?

    Lukasch: Ja, kurz vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 hat die erste freigewählte Volkskammer den Tränenpalast unter anderem, neben vielen weiteren Gebäuden, noch unter Denkmalschutz gesetzt. Also zu Zeiten der DDR, aber von einem freigewählten Parlament. Und insofern sollte eigentlich keine Veränderung vorgenommen werden. Dennoch muss man sagen, in den 90er Jahren, wo so viel so schnell gehen musste, sind bereits erste Eingriffe erfolgt. Und das ist die Hauptverbindung nämlich des Gebäudes mit dem Bahnhof. Die ist relativ schnell abgerissen worden, damit man dort eine Verbindungsstraße bauen konnte. Und im vorderen Bereich sind dann sogar später noch Veränderungen vorgenommen worden, die dann um das Jahr 2005 sogar lagen. Wir sind mit unserer Ausstellung da natürlich reingekommen und haben ganz in enger Zusammenarbeit mit den Denkmalpflegern die Ausstellung dann geplant.

    Rosenplänter: Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten für ein Museum in einem denkmalgeschützten Gebäude zu sein?

    Lukasch: Absolut, denn dieses Gebäude ist ja nicht für den Zweck einer Ausstellung gebaut worden. Also alleine die Verteilung von Strom innerhalb des Gebäudes, was für eine Ausstellung ja sehr wichtig ist. Da gibt es also keine Kabelkanäle oder Sonstiges. Da können sie aber auch nicht einfach mal den Boden aufstemmen und die Kabel verlegen, sondern müssen das natürlich kreativ lösen. Und das sind die Herausforderungen an diesem Ort, der natürlich ganz andere Anforderungen heute hat, als er das damals hatte. Und insofern müssen wir umgehen mit einem denkmalgeschützten Boden, einer denkmalgeschützten Fassade, einer denkmalgeschützten Decke. Und das bringt natürlich Einschränkungen mit sich, hat aber auch den Vorteil, dass man dieses Objekt, wie sie es ja eingangs auch so nannten, eben auch entsprechend in den Mittelpunkt rücken kann. Und das tun wir in der Ausstellung.

    Rosenplänter: Was symbolisiert denn der Trennenpalast heute?

    Lukasch: Also tatsächlich gibt es viele, die in den 90er-Jahren dort waren und bereits Salsa getanzt haben. Für die ist es so ein bisschen das Berlin des Umbruchs. Aber für die Menschen, die das Gebäude zur Zeit der Treilung erlebt haben, für die ist es eigentlich bis heute ein emotionaler Ort geblieben. Und das macht auch die Ausstellung sehr besonders, auch die Erfahrung im Umgang mit Besucherinnen und Besuchern besonders. Bis heute haben wir Menschen, die vielleicht sogar das erste Mal wieder in diesen Ort oder an diesen Ort kommen, seit mehr als 30, 40 Jahren, und ja, eine eigene persönliche Geschichte damit verbinden. Und das merken wir an den Einträgen in den Gästebüchern oder an den Reaktionen der Besucherinnen und Besucher. Es ist bis heute ein emotionaler Ort und ein Ort, der auch für die Teilung steht.

    Rosenplänter: Was bekommen Sie da so für Reaktionen? Was ist so das Feedback?

    Lukasch: Also das reicht von Menschen, die am Eingang stehen und nicht weitergehen können, weil sie einfach plötzlich ihre Erinnerungen an ihre Ausreise wieder durchleben, bis hin zu Großeltern, die mit ihren Enkeln da durchgehen und eben erzählen, wie sie diesen Ort erlebt haben. Es gibt rege Diskussionen zwischen Besucherinnen und Besuchern, die da durchgegangen sind, aber den Ort ganz anders erinnern und dann anfangen zu diskutieren, ob das jetzt hier so richtig aufgebaut ist oder nicht, weil es sich vielleicht mit der eigenen Erinnerung nicht ganz in Einklang bringen lässt.

    Rosenplänter: Die wechselvolle Geschichte des Tränenpalastes und die Emotionen, die dieses Gebäude bis heute auslöst, hat uns Dr. Mike Lukasch erzählt. Danke Ihnen dafür.

    Lukasch: Sehr gerne.

    Rosenplänter: Und auch das nächste Mal geht es um die Geschichte des Tränenpalastes, dann schauen wir uns aber mal eines der Objekte an, die im Gebäude drinstehen. Und zwar die Kontrollkabinen, das Nadelöhr auf dem Weg raus aus der DDR und rein in die Bundesrepublik. Wenn euch der Podcast gefällt, dann würde es uns sehr freuen, wenn ihr anderen davon erzählt. Wenn er euch nicht so gefällt, dann erzählt es gerne vor allem uns, damit wir es besser machen können. Und falls ihr es nicht schon gemacht habt, gerne auch den Podcast abonnieren. Dann bekommt ihr auch die nächste Folge direkt angezeigt. Bis dahin, macht's gut.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dr. Mike Lukasch, Abteilungsleiter Standort Berlin