1989 - Flucht in den Westen
  • Dieses Telegramm verschicken drei Schwestern nach ihrer Fluch in die Bundesrepublik 1989. Die Chance zur Flucht bietet das Paneuropäische Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze – ein nicht ungefährlicher Plan, bei dem auch Menschen ums Leben kommen.

    Rosenplänter: Willkommen bei neuen Folgen von Zeitgeschichten, der Museumspodcast. Das ist der Podcast der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Und zu dieser Stiftung gehören vier Museen. Eines in Bonn, das Haus der Geschichte, eines in Leipzig, das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig und zwei in Berlin, nämlich das Museum in der Kulturbrauerei und der Tränenpalast. Und jedes dieser vier Museen beschäftigt sich mit einem anderen Teilaspekt der deutsch-deutschen Geschichte nach 1945. Ich bin Meike Rosenplänter und in den ersten Podcast Folgen haben wir euch mitgenommen ins Haus der Geschichte nach Bonn. Diesmal sind die anderen drei Museen dran in Leipzig und Berlin. Hier werden wir uns regelmäßig Ausstellungsstücke raussuchen, die eine besondere Bedeutung haben für die deutsch-deutsche Geschichte, für das Leben in der DDR oder für das Zusammenwachsen von Ost und West nach der Wiedervereinigung. Und in jeder Folge hole ich mir eine oder einen der Stiftungshistorikerinnen oder Historiker dazu, der oder die mir ein bisschen was erzählt zu dem Ausstellungsstück der jeweiligen Folge. Los geht's im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und wenn ihr da so etwa die Hälfte durch seid durch die Ausstellung, dann kommt ihr zu einem Steg. Und dieser metallene Steg, der bringt euch von der DDR-Zeit in eine Zeit des Umbruchs, zur friedlichen Revolution 1989. Und in dieser neuen Zeit, in diesem neuen Raum, da seht ihr unter anderem ein Stück des Zauns der deutschen Botschaft in Prag. Daneben ganz viele Schlüssel, die dort liegen gelassen wurden und etwas verstreut davor liegen ein Wanderrucksack und Wanderschuhe rum. Davor ist eine Vitrine mit Bildern aus einem Fluchtalbum und etwas versteckt unter dieser Vitrine liegt eine graue Mappe. Da drin sind noch mehr Objekte und Fluchtgeschichten von Menschen zu finden und es lohnt sich, da mal reinzuschauen und das dürft ihr auch, die sind extra dafür da. Und in dieser Mappe, ganz hinten, ist ein Telegramm abgedruckt. Wir nehmen heute ein echt verstecktes Objekt. Und der Text von diesem Telegramm ist, wie sich das gehört, sehr kurz. Herzlichen Glückwunsch, Ulrich, Bernd und Christoph. Und wer war das jetzt? Was hat das mit den Wanderschuhen zu tun? Und warum reden wir da jetzt eigentlich drüber? Das kann uns Kornelia Lobmeier erklären, sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Hallo, Frau Lobmeier.

    Lobmeier:  Hallo.

    Rosenplänter: Wer sind Ulrich, Bernd und Christoph?

    Lobmeier: Ja, hinter diesen Namen, das sind Tarnnamen, verstecken sich drei junge Frauen, drei Schwestern aus Naumburg. Ulrike, Bärbel und Christiane. Damals, zum Zeitpunkt, als dieses Telegramm abgefasst wurde, waren sie zwischen 21 und 17 Jahre alt. Und dahinter verbirgt sich eine spannende Geschichte, wie sie so oder so ähnlich, damals im Sommer 1989, hunderttausendfach passiert ist.

    Rosenplänter: Was war das für eine Geschichte?

    Lobmeier: Ja, also dieses Telegramm war eine verschlüsselte Botschaft an die Eltern in Naumburg, die diese drei Schwestern geschickt haben, nachdem ihnen die Flucht über Ungarn nach Österreich in den Westen gelungen war. Und zwar haben diese drei die Möglichkeit genutzt, beim paneuropäischen Picknick am 19. August 1989 in der Nähe von Sopron die Grenze zu überwinden, um in den Westen zu kommen.

    Rosenplänter: August 1989, klar, da gab es die DDR noch, da gab es die Grenze noch, die Grenzen waren auch noch geschlossen. Wie schwierig war zu dieser Zeit eine Flucht?

    Lobmeier: Es gab zwei Möglichkeiten für die Ostdeutschen, in den Westen zu kommen. Das eine war ein Ausreiseantrag, der bedeutete, dass man lange warten musste, dass man in dieser Zeit Benachteiligungen, Schikanen ausgesetzt war. Und auch nicht immer wurde so ein Ausreiseantrag genehmigt, man musste dann triftige Gründe vorweisen. Oder es blieb eben nur die Flucht. Und Honecker hatte noch im Januar 1989 gesagt, die Mauer werde noch hundert Jahre stehen bleiben, solange die Bedingungen existieren, unter denen sie gebaut wurde. Das heißt, eine Hoffnung, dass sich die Grenzen öffnen würden oder dass es gelockerte Reise- und Ausreisebestimmungen geben würden, die waren zunichte gemacht worden.

    Rosenplänter: Aber warum wollten die Frauen denn überhaupt ausreisen?

    Lobmeier: Ja, also die drei Schwestern kamen aus einem Elternhaus, was sehr kritisch auf politische Entwicklungen schaute. Es gehörte zum Ritual, dass man abends beim Abendessen über die Tagesereignisse diskutierte und dann auch über politische Entwicklungen sich unterhielt, insofern waren sie alle drei sehr politisch wach und kritisch der DDR gegenüber eingestellt. Hinzu kam, dass das Elternhaus auch sehr kirchlich engagiert war und die Familie selbst hatte zahlreiche Drangsalierungen zu erleben. Das eine war, Ulrike, die Älteste, hatte viermal eine Absage für ihren Studienwunsch bekommen. Unter anderem wurde damals angeführt, dass sie sich geweigert hatte, den Solidaritätsbeitrag zu zahlen, weil sie sagte, sie könnte nicht sehen, ob dieser Beitrag auch tatsächlich für humanitäre Zwecke eingesetzt wurde. Die Mutter war Lehrerin für Musik. Sie wurde entlassen, weil sie im Musikunterricht eher Volkslieder mit den Schülern einübte als sozialistische Kampflieder, das wurde als Nachweis für ihre kritische Einstellung zum sozialistischen Staat angesehen. Und damit konnte sie also nicht mehr vor Schulkindern auftreten. Der Vater war Bauingenieur. In seinem Betrieb hatte er sich häufig für die Reformpolitik, wie sie in der Sowjetunion unter Gorbatschow eingeleitet wurde, ausgesprochen. Auch da wurde ihm nahegelegt, das nicht mehr zu tun. Das waren so die täglichen, alltäglichen Schikanen, die die Familie ausgesetzt war und insofern sahen sie für sich keine positiven Zukunftsaussichten mehr in der DDR.

    Rosenplänter: Das heißt, das war auch keine spontane Reaktion auf die Ereignisse 1989, oder?

    Lobmeier: Also ich denke, das hat sich lange angebahnt. Damit war diese Familie sicherlich nicht die Einzige, es gab in vielen Familien die Diskussion, gehen oder bleiben. Und das hatte sich dann im Sommer zugespitzt und die drei Schwestern hatten sich entschlossen, das Land zu verlassen.

    Rosenplänter: Wie sah denn das Leben in diesem Sommer 1989 in Naumburg aus?

    Lobmeier: Ja, man muss sich wirklich in diese Situation im Sommer 1989 zurückversetzen. Nicht nur in Naumburg, sondern in der gesamten DDR war die Stimmung sehr angespannt. Allein im Sommer 1989 hatten 120.000 Ostdeutsche die Ausreise beantragt, weil sie die Hoffnung auf politische Veränderungen in der DDR aufgegeben hatten. Während sich in den sozialistischen Nachbarländern und in der Sowjetunion Reformen Bahn brachen, Hoffnung auf Veränderung keimte, war das in der DDR nicht so. Im Gegenteil, die politische Führung hatte immer betont, dass sie an dem eingeschlagenen Weg festhalten wollte. Und als im Sommer 1989 in China auf dem Platz des himmlischen Friedens die Demokratiebewegung niedergeschlagen wurde, hatte die SED-Führung noch einmal betont, dass das der richtige Weg wäre, um den Sozialismus zu schützen. Damit war jede Hoffnung auf Veränderungen im politischen Bereich zunichte gemacht.

    Rosenplänter: Wie haben die drei Schwestern dann ihre Flucht organisiert? Wie haben die das angestellt?

    Lobmeier: Die mittlere Schwester, Bärbel, war befreundet mit einem jungen Mann aus der Bundesrepublik. Den hatte sie Monate vorher in einem Dresdner Studentenclub kennengelernt und er hatte schon immer nach Fluchtmöglichkeiten gesucht und er hatte gehört, dass aufgrund der wachsenden Flüchtlingszahlen die Besetzungen der Botschaften in Budapest und Prag, als Ostdeutsche in den bundesdeutschen Botschaften Zuflucht suchten, um ihre Ausreise zu erzwingen, dass die DDR-Führung geplant hatte, die Reisemöglichkeiten für Ostdeutsche in diese Länder zu unterbinden. Deswegen drängte die Zeit und er schlug vor, dass man die Flucht über Ungarn wagen sollte. Ungarn hatte im Mai 1989 begonnen, die Grenzbefestigungen nach Österreich abzubauen, das war der erste Riss im eisernen Vorhang. Das bedeutete allerdings noch nicht, dass Ostdeutsche ungehindert von Ungarn nach Österreich ausreisen konnten. Noch immer wurden sie daran gehindert und im Sommer 1989 gab es auch noch den letzten toten Ostdeutschen an der ungarisch-österreichischen Grenze, der also versucht hatte, illegal die Grenze zu übertreten. Aber man hoffte auf eine Regelung, die die große Zahl von Flüchtlingen in Ungarn und vor allen Dingen in Budapest die Möglichkeit eröffnete, legal mit Erlaubnis der ungarischen Regierung nach Österreich ausreisen zu können.

    Rosenplänter: Sie haben eben von einem Picknick gesprochen. Was hatte denn dieses Picknick damit zu tun?

    Lobmeier: Ja, das paneuropäische Picknick war eine Idee des paneuropäischen Forums und des ungarischen Demokratischen Forums. Man wollte die Grenzöffnung zwischen den ehemals als feindlich gegenüberstehenden Ländern Ungarn und Österreich feiern mit einem symbolischen Picknick am Grenzübergang in der Nähe von Sopron und dazu wurden auch Flugblätter verteilt und auf dieses Ereignis hingewiesen. Und einige Flüchtlinge, die auf ihre Ausreise warteten in Budapest, haben davon erfahren und nutzten diese Gelegenheit dieser Festveranstaltung, um die Grenze nach Österreich zu überwinden.

    Rosenplänter: Wie viele Menschen sind damals bei dieser Massenflucht von Ungarn nach Österreich gekommen?

    Lobmeier: Die Zahlen schwanken zwischen 600 und 700 Ostdeutsche, denen da die Flucht gelungen ist, die das Tor regelrecht aufgedrückt haben und die ungarischen Grenzer leisteten keine Gegenwehr, sondern ließen diese Flüchtlinge gewähren und nach Österreich übertreten.

    Rosenplänter: Und diese Grenzer sind damit durchgekommen?

    Lobmeier: Ja, also zu den Jubiläumstreffen, die stattfinden dort, sind auch einige der Grenzer anwesend und sie haben keine Benachteiligung damals erfahren.

    Rosenplänter: Wenn die Schwestern zu Fuß über die Grenze da gegangen sind, dann bedeutet das aber auch, dass sie ja nicht viele Sachen bei sich haben konnten auf ihrer Flucht, oder?

    Lobmeier: Ja, also sie konnten kein großes Gepäck mitnehmen. Das muss man sich mal vorstellen. Sie mussten ja aus der DDR nach Ungarn reisen mit der Legende, sie fahren nur an den Balaton, um dort Urlaub zu verbringen. Das heißt, es gab nur einen Rucksack, ein Zelt, ein paar Wanderschuhe, es durfte nicht als Flucht erkenntlich sein und persönliche Erinnerungsstücke oder Ähnliches, das war natürlich verräterisch und das konnte man nicht mitnehmen.

    Rosenplänter: Haben die drei versucht, irgendwas rauszuschmuggeln?

    Lobmeier: Mir ist davon nichts bekannt. Wir haben ja einige Stücke ihres Fluchtgepäcks in unserer Ausstellung. Dazu gehören eben das Zelt, ein Rucksack, Wanderschuhe und eine Karte vom Grenzgebiet um Sopron, damit sie den Weg auch wirklich fanden.

    Rosenplänter: Diese Fluchtroute über die ungarische Grenze nach Österreich, wurde die nach diesem paneuropäischen Frühstück noch weiter genutzt?

    Lobmeier: Also, ich hatte ja schon gesagt, es gab mehrfach Versuche, die Grenze zu überwinden. Noch war aber die Grenze offiziell nicht geöffnet für Ostdeutsche, also, sie wurden zurückgewiesen und, wie ich bereits erwähnte, ist im Sommer 1989 bei so einem Versuch auch ein Ostdeutscher ums Leben gekommen. Das war und blieb ein gefährlicher Weg, erst im September 1989 hat die ungarische Regierung auf Druck auch der großen Anzahl von Flüchtlingen, die sich dann in Ungarn aufhielten und auf diese Möglichkeit des Grenzübertritts warteten, dazu entschlossen, den Ostdeutschen die Ausreise nach Österreich zu erlauben.

    Rosenplänter: Und damit hat das Land im Grunde das Ende der DDR eingeleitet.

    Lobmeier: Es war zumindest ein wichtiger Meilenstein. Denn es war nicht nur der Fakt, dass viele Menschen die DDR verlassen haben, sondern auch die Frage, was bewirkte es denn in der DDR selbst bei denen, die im Land geblieben waren. Man muss sich das ja vorstellen, dass das ja bedeutete, dass man nicht wusste, wann man den Freund, die Tochter, den Sohn, den Kollegen wiedersehen konnte. Das war ja ein Abschied für immer quasi und immer mehr Menschen verließen das Land. Es gibt einen Brief einer Mitschülerin von Christiane, der jüngsten der drei Schwestern, die damals noch zur Schule ging. Den hat sie geschrieben, als sie feststellte, nach Schulbeginn, nach den Sommerferien, dass der Platz ihrer Freundin Christiane leer blieb.

    Rosenplänter: Und was steht da drin?

    Lobmeier: In diesem Brief schreibt diese Freundin ihre Gefühle. Dass sie sich einerseits fragt, ist sie denn gar nichts wert, der Freundin, dass sie sie verlässt, aber eben auch das Verständnis dafür, dass sie die Christiane unter diesen Bedingungen nicht mehr so weiterleben wollte. Und dass sie diesen Weg gesucht hat. Aber die Hoffnung auch, dass sie eine gute Zukunft hat und dass sie diese Gespräche vermissen wird, den kritischen Geist vermissen wird und dass man eigentlich solche Menschen wie Christiane und ihre Schwestern gerade in der Situation auch in der DDR gebraucht hätte.

    Rosenplänter: Wissen wir denn, was aus den Schwestern geworden ist?

    Lobmeier: Ja, also nachdem sie das Telegramm an ihre Eltern geschickt hatten, hatten die Eltern die Möglichkeit, durch einen genehmigten Verwandtenbesuch in die Bundesrepublik zu reisen. Da stand wohl ein Familienjubiläum an und unter solchen Bedingungen, bei solchen konkreten Anlässen, war es auch gestattet, für Besuchsreisen in die Bundesrepublik zu reisen.

    Rosenplänter: Obwohl die Frauen vorher geflüchtet sind?

    Lobmeier: Deswegen war es sehr wichtig, dass diese Flucht so lange wie möglich unentdeckt bleibt und deshalb auch dieses verschlüsselte Telegramm. Die Eltern konnten ausreisen, sodass sie dann nicht wieder zurückkehrten in die DDR und die Familie in der Bundesrepublik dann wieder vereint war. Die drei Schwestern haben studiert.

    Rosenplänter: Das heißt, dieser Text auf dem Telegramm war vorher mit den Eltern abgesprochen und es ist tatsächlich auch bis zu dieser Familienfeier im Westen niemand dahintergekommen, dass die drei Schwestern tatsächlich geflohen sind.

    Lobmeier: Ja, das war noch eine sehr heikle Situation, weil beim paneuropäischen Picknick auch viele Journalisten anwesend waren, auch Fotojournalisten, die Bilder von dem Grenzübertritt gingen um die Welt und man hatte große Sorge, dass man entdeckt wird, weil die Stasi natürlich die internationalen Medien auch verfolgte und dass die drei Schwestern erkannt wurden und damit dann den Eltern die Ausreise in die Bundesrepublik besuchsweise verwehrt wird. Das war zum Glück nicht der Fall, obwohl, glaube ich, der Stern eine große Fotoreportage gebracht hat und der Zeitabstand war wahrscheinlich zu kurz, als dass die Stasi da hätte reagieren können.

    Rosenplänter: Wie sind die drei dann in der Bundesrepublik nach dem Grenzübertritt aufgenommen worden? Es gab ja zu dem Zeitpunkt schon sehr viele Flüchtlinge aus der damaligen DDR.

    Lobmeier: Ja, sie waren aber mit so die Ersten, die tatsächlich in einer größeren Anzahl in den Westen kamen. Der große Ansturm war dann natürlich erst im Oktober, als die Botschaftsflüchtlinge aus Prag ausreisen konnten. Dann im November mit dem Fall der Mauer wuchsen die Flüchtlingszahlen. Also im August 1989 waren sie sicherlich noch eine große Ausnahme. Aber Christiane, die hat darüber reflektiert und hat gesagt, für sie war die besondere Erkenntnis, dass sie gemerkt hat, obwohl man ja eigentlich eine gemeinsame Sprache spricht, hat sie doch sehr viele Unterschiede gemerkt und es ist ihr gar nicht so leicht gefallen. Man glaubt ja, ein geteiltes Land, die gleiche Sprache, die gleiche Geschichte und Kultur über viele Jahrhunderte, Jahrtausende hinweg, das ist einfach wie heute von Magdeburg nach Göttingen ziehen. Aber das war es nicht. Es hat schon auch Eingewöhnungszeit gebraucht und Anpassungsfähigkeit, aber die drei haben ihren Weg gemacht.

    Rosenplänter: Und sie sind alle auch im Westen geblieben, auch die Eltern?

    Lobmeier: Die Eltern sind Anfang der 90er-Jahre wieder nach Naumburg zurückgekehrt. Sie haben dort eine Firma gegründet und sich selbstständig gemacht.

    Rosenplänter: Und die Schwestern haben aber hier im Westen studiert?

    Lobmeier: Die Schwestern hatten in Freiburg und in Göttingen studiert und wo sie sich heute befinden, kann ich nicht sagen. Christiane war längere Zeit in England, Ulrike in Frankfurt, wollte dann nach Berlin. Und Bärbel hat ihren Freund geheiratet, der ihr mit zur Flucht verholfen hat, hat in Freiburg und Heidelberg gelebt und hat zwei Kinder, so viel ich weiß.

    Rosenplänter: Sie haben eben auch erwähnt, dass es noch Treffen gibt, an denen auch die Grenzer teilnehmen. Das heißt, es gibt noch irgendeine Art der Erinnerung an dieses paneuropäische Picknick?

    Lobmeier: Ja, am Ort des paneuropäischen Picknicks gibt es eine Erinnerungsstätte, eine Skulptur erinnert an diesen ersten Durchbruch durch den eisernen Vorhang zwischen Ost und West. Und zu den Jubiläumstagen gibt es auch Treffen von Flüchtlingen, die damals die Chance genutzt haben zur Flucht, von Grenzern, von den Organisatoren, um an diesen besonderen Tag zu erinnern.

    Rosenplänter: Was ein verschlüsseltes Telegramm mit der friedlichen Revolution und dem wiedervereinigten Deutschland zu tun hat, das hat uns Kornelia Lobmeier erklärt. Danke Ihnen dafür.

    Lobmeier: Ja bitteschön.

    Rosenplänter: In der nächsten Folge wandern wir ein paar Jahre weiter zurück in der Geschichte, nämlich in die 1950er-Jahre. Da wurde die Landwirtschaft in der DDR kollektiviert. Und was das für die Menschen damals bedeutet hat und was das für Folgen teilweise bis heute hat, das hört ihr beim nächsten Mal. Bis dahin, ciao.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dr. Kornelia Lobmeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin