1992 - Stasi-Listen
  • Dass die Staatssicherheit die eigenen Bürgerinnen und Bürger in der DDR überwacht, gehört für viele zum Alltag. Dass aber sogar Freunde, Familie und Nachbarn inoffizielle Mitarbeiter der Stasi waren, das erfahren viele erst nach der Wiedervereinigung. Dazu trägt auch diese Liste bei.

    Rosenplänter: Mit Meike Rosenplänter. Wie ist es bei euch, wenn ihr euch mit Freunden oder Familie oder guten Bekannten trefft? Ich denke mal, wie bei den meisten von uns, man sitzt zusammen, man trinkt Kaffee oder Tee oder abends auch mal ein Bier und man unterhält sich. Über den neuen Zaun im Garten, über die lauten Nachbarskinder, über die Pläne für den Urlaub, eventuell auch mal über die Verwandtschaft im Ausland oder auch mal über Politik, vor allem, wenn man mit den Zuständen gerade nicht ganz so zufrieden ist. Und eigentlich geht man ja auch davon aus, dass was wir hier an diesem Küchen-, Wohnzimmer-, Esstisch besprochen haben, das bleibt unter uns. Man kennt sich ja. In der DDR konnte man sich da nicht so sicher sein. Klar, vom Ministerium für Staatssicherheit, von der Stasi, da wusste man, dass die, die Bürgerinnen und Bürger ziemlich im Blick hatten. Und wenn der Verdacht auf politischen Widerstand gegen die SED, auf Spionage oder Republikflucht bestand, dann wurde man so richtig ins Visier des MFS genommen. Aber dass auch die eigenen Freunde, die Nachbarn und Familienangehörigen für die Stasi gespitzelt haben, das haben viele erst nach der Wiedervereinigung erfahren. Es gab nämlich auch sogenannte inoffizielle Mitarbeiter, die eigentlich einen ganz anderen Job hatten, aber sozusagen nebenher Informationen, die sie so mitbekommen haben, an die Stasi weitergegeben haben. Wer alles als IM gearbeitet hat, das ist bis heute nicht abschließend geklärt, aber einige Namen, die weiß man. Zum Beispiel tauchte 1992 in Halle eine Liste mit Namen von früheren inoffiziellen Mitarbeitern auf. Die Bürgerbewegung „Neues Forum“ hat diese Liste in ihrem Büro zur Einsicht ausgelegt und auch die BILD-Zeitung hat diese Liste abgedruckt. Ganz eng beieinander, 4500 Namen. Diese Liste aus der BILD-Zeitung, die hängt bei uns im zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Sie ist eines der Objekte, die zeigen, wie sich Menschen nach dem Mauerfall mit der eigenen Geschichte und der Geschichte der DDR auseinandergesetzt haben. Und über diese Liste spreche ich jetzt mit Dr. Iris Benner. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung. Hallo Frau Benner.

    Benner: Hallo Frau Rosenplänter.

    Rosenplänter: Wie ist die BILD-Zeitung eigentlich an diese Namen gekommen? Stasi-Mitarbeiter, die hätten ja theoretisch geheim sein müssen.

    Benner: Das ist richtig. Diese Liste wurde im Juli 1992 tatsächlich in 33 Exemplaren an Vertreter des öffentlichen Lebens, aber auch an die Medien und an Parteien verschickt. Und es war zunächst unklar, von wem diese Liste gekommen war. Aber die BILD-Zeitung, die berichtete schon einen Tag später darüber. Und so hat sich das dann auch gleich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass diese Liste in der Welt war. Und es kursierten auch direkt Kopien davon, die teilweise für 500, damals noch D-Mark und mehr, verkauft wurden. Und dann kam aber ein wichtiger weiterer Akteur in dieser ganzen Geschichte ins Spiel, nämlich das Neue Forum. Das war ja jene Vereinigung von DDR-Bürgerrechtlern, die so eine zentrale Rolle in der friedlichen Revolution gespielt hatten. Und die unter anderem auch die Stasi-Zentralen besetzt hatten damals. Und diese Vereinigung Neues Forum meinte nun, dass eigentlich alle die Möglichkeit haben müssten, in diese Listen Einblick zu haben. Und sie haben sie deshalb in ihrem Büro öffentlich ausgelegt und die Menschen konnten kommen und in die Listen Einblick nehmen.

    Rosenplänter: Aber wenn das an die Medien gegangen ist und die BILD-Zeitung es abgedruckt hat, dann war das doch im Grunde schon öffentlich gewesen, oder?

    Benner: Ach so, zu diesem Zeitpunkt war das noch nicht so, sondern die BILD-Zeitung hatte zunächst mal nur darüber berichtet, dass es diese Liste gab, dass diese Liste ihr zugeleitet worden war.

    Rosenplänter: Sie haben gesagt, es war am Anfang nicht bekannt, wer diese Liste in den Umlauf gebracht hat. Als die BILD-Zeitung diese Namen dann abgedruckt hatte, war das da dann bekannt und konnten die Informationen nachgeprüft werden?

    Benner: Nein, das war auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Also was schon klar war, war, dass diese Liste nicht in der Zeit der DDR entstanden sein konnte. Denn das Ministerium für Staatssicherheit hat niemals so eine Liste angelegt, in der die Klarnamen und die Decknamen von inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern zusammengeführt waren. Es gab damals noch keine Liste, aus der hervorging, dass jemand mit dem Decknamen Hannelore beispielsweise im richtigen Leben Lieschen Müller hieß.

    Rosenplänter: Das muss ja ganz schön viel Arbeit gewesen sein. Waren das denn tatsächlich auch alles dann Spitzel der Stasi, die da drauf standen? Oder gab es da irgendwie so Fehler, die passiert sind?

    Benner: Diese Liste war überschrieben mit IM-Registrierungen. Das heißt also, es waren dort Menschen aufgeführt, die wohl zu irgendeinem Zeitpunkt mal eine sogenannte Verpflichtungserklärung unterschrieben hatten.

    Rosenplänter: Was war das?

    Benner: Das war so ein Schriftstück, das aufgesetzt wurde und in dem jemand dann eben sein Einverständnis erklärte, für die Stasi Informationen zu besorgen. Wer von denen, die so eine Erklärung unterschrieben hatten, dann tatsächlich gespitzelt hat und wer vielleicht auch nur Informationen weitergegeben hat, die vielleicht sogar ausgedacht waren, darüber gab diese Liste jetzt natürlich zunächst noch keine Auskunft. Und außerdem war natürlich vollkommen unklar, was letztlich diejenigen mit ihrer Spitzeltätigkeit angerichtet hatten. Denn wenn jemand zum Beispiel berichtet hat, dass sein Nachbar jeden Morgen um sechs Uhr pünktlich zur Arbeit ging, dann hat er vielleicht gedacht, dass er damit Ausdruck verleiht, dass dieser Nachbar ein zuverlässiger Arbeiter ist. Tatsächlich konnte es aber sein, dass das dann für die Stasi bedeutete, dass sie um acht Uhr anrückte und dort dann ungestört seine Wohnung durchsuchen konnte. Und so waren sich wahrscheinlich viele Spitzel ihrer Tragweite, der Tragweite dessen, was sie getan haben, nicht bewusst. Obwohl sie andererseits natürlich viele Beispiele hätten sehen können, wo eben mit den Mitteln der Zersetzung die Staatssicherheit durch solche Informationen ganze Freundschaften, Familien und ganze Lebenswege zerstört hat.

    Rosenplänter: Jetzt geht es bei dieser Liste ja, in Anführungszeichen, nur um Menschen, die in Halle gelebt haben. Heißt, es waren nicht 80 Millionen Menschen, aus denen dann 4.500 Namen genannt wurden, sondern es war eine Stadt mit knapp 300.000 Einwohnern. Und sie sagen, da stand halt einfach jeder drauf, egal, wie viel er gespitzelt hat oder ob er überhaupt gespitzelt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass aber jemand jemanden kennt, der auf dieser Liste steht, war ja relativ groß. Wie waren die Reaktionen der Menschen in Halle auf diese Liste? Und was ist mit den Menschen passiert, die auf dieser Liste standen?

    Benner: Ja, also als diese Liste in der Welt war, hat man natürlich zunächst mal gefürchtet, dass es so eine Art Hexenjagd gibt oder dass es Racheakte geben könnte oder vielleicht, dass es sogar zu Selbstmorden führt. Tatsächlich war es aber so, dass im Grunde es schon einzelne Anfeindungen gegeben hat, die auch bekannt wurden. Allerdings meistens nur dann, wenn es eine zufällige Namensgleichheit gab, also das heißt, wenn jemand auf der Liste stand, der im Grunde jetzt gar nicht darauf gehört hätte. Diejenigen, die auf der Liste standen, haben meist solche Reaktionen eher für sich behalten. Es gab allerdings auch einzelne Geschäftsleute, die haben über Kundenschwund geklagt. Insgesamt kann man aber sicherlich sagen, dass eher die öffentliche Diskussion um die Gründe für Verstrickungen und Schuldfragen noch mal ganz neu gestellt und angeregt wurde und es somit auch viele eher gut fanden, dass es diese Veröffentlichung gegeben hatte.

    Rosenplänter: Gab es denn auch eine Diskussion darüber, ob es richtig war, eben die Namen direkt zu veröffentlichen? Damit waren ja im Grunde die Persönlichkeitsrechte auch beeinflusst. Oder waren sich alle darüber einig, dass diese Namen im öffentlichen Interesse sind und eben deshalb veröffentlicht werden müssen?

    Benner: Ja, es gab auf jeden Fall eine Diskussion über die Frage, ob diese Veröffentlichung richtig war. Und die hängte sich im Grunde an zwei Fragen auf. Nämlich einerseits, waren die Menschen wirklich alle Stasi-Spitzel und was hat ihre Spitzeltätigkeit angerichtet? Da ging natürlich dann die Meinung auseinander, ob jetzt tatsächlich alle Spitzel die gleiche Schuld getragen hatten und aus welchen Beweggründen sie vielleicht damals zugesagt hatten, Informationen zu liefern. Und die zweite Frage war, hatte jemand, wenn er auf der Liste zu Recht auf der Liste stand, ein Recht darauf, dass das dann geheim blieb? Und während diese erste Frage sich zumindest zeitweise ziemlich stark auf das Zusammenleben der Menschen in Halle ausgewirkt hatte, kann man sagen, dass die zweite Frage eigentlich vor allem die Gerichte beschäftigt hat später.

    Rosenplänter: Haben die Menschen denn auch irgendwann daran gezweifelt, ob diese Informationen überhaupt richtig sind?

    Benner: Ja, also schon die Liste ist mit einem Vorwort versehen und in dem heißt es, dass es nicht auszuschließen sei, dass sich da Fehler eingeschlichen hätten und dass da auch Menschen genannt sein könnten, die vielleicht schon ganz lange keinen Kontakt mehr mit dem Ministerium für Staatssicherheit gehabt hatten. Und es meldeten sich bald auch Menschen, die sagten, sie stünden auf der Liste, aber sie wären ja damals zu einer Unterzeichnung dieser Verpflichtungserklärung gezwungen oder erpresst worden. Und andere wiesen natürlich auch darauf hin, dass da vielleicht auch Menschen, von denen man wusste, dass sie inoffizielle Mitarbeiter waren, gar nicht genannt waren. Und so kam es, dass schließlich der damalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, die ja damals noch Gauck-Behörde genannt wurde, nämlich Joachim Gauck, der spätere Bundespräsident, dann auch nach Halle kam und seine Einschätzung abgeben sollte. Er hat dann gesagt, dass seine Behörde tatsächlich stichprobenartig geprüft hat und dass diese Überprüfung ergeben hat, dass im Grunde schon alle, die auf der Liste standen, tatsächlich mal so eine Verpflichtungserklärung unterschrieben hätten. Übrigens ist dieses Exemplar, das wir in der Sammlung haben, das stammt von so einem Kommunalpolitiker aus Halle, der gleichzeitig auch Mitarbeiter bei der Uni in Halle war und der anhand dieser Liste Universitätsmitarbeiterinnen und -Mitarbeiter überprüft hat auf ihre Verstrickung mit dem MfS. Und der zu dem Schluss gekommen ist, dass alle, die auf der Liste standen, tatsächlich auch inoffizielle Mitarbeiter gewesen sein sollen.

    Rosenplänter: Wer hat denn da so alles gespitzelt in Halle? Gibt es da irgendwelche Muster zu erkennen?

    Benner: Im Grunde kann man sagen, dass das quer durch alle Bevölkerungsschichten und Berufsgruppen ging. Es ist wohl so, dass 83 Prozent der inoffiziellen Mitarbeiter männlich waren, so viel kann man sagen, und dass sie mehrheitlich der SED angehörten. Im zeitgeschichtlichen Forum, da zeigen wir diese Liste ja im Zusammenhang mit Zeitzeugeninterviews. Und aus denen geht, wie ich finde, sehr gut hervor, dass es da sehr unterschiedliche Beweggründe gab. Das geht vom Extrem der überzeugten Sozialistin, die zur Sicherheit des Staates beitragen wollte, bis hin zum Erpressungsopfer, das zum Beispiel durch die Drohung, dass die eigenen Kinder zur Zwangsadoption freigegeben würden, dann gezwungen wurde, zu unterschreiben. Und es gab sicherlich auch Menschen, die hofften, dadurch Schlimmeres zu verhindern, wenn sie sozusagen vielleicht auch falsche Informationen weitergeben. Und dann gab es natürlich auch Menschen, die sicherlich erhofften, dass sie Vorteile oder Prämien bekommen könnten, wenn sie sich dazu verpflichten. Also besonders eindrücklich finde ich die Aussagen von einer inoffiziellen Mitarbeiterin, Monika Häger, die zeigen wir auch in unserer Ausstellung. Die hatte sich 1990 zu so einem ganz ausführlichen Interview bereit erklärt. Und die spricht so von dem Gefühl der Bestätigung und der Zugehörigkeit, dass sie dadurch erfahren hat und sie beruhigt sich andererseits immer wieder damit, dass es ja nicht gerade ihre Informationen gewesen seien, die dann andere Menschen ins Gefängnis gebracht hätten. Aber dem gegenüber stehen in unserer Dauerausstellung dann eben auch Menschen, die berichten, wie sie durch engste Familienmitglieder bespitzelt wurden. Und die dann oft erst durch einen Einblick in ihre Akte verstanden haben, welchen Schaden dadurch angerichtet wurde. Das war ja eben diese perfide Technik der sogenannten Zersetzung.

    Rosenplänter: Auf dieser Liste sind jetzt nur in Anführungszeichen Menschen, die inoffiziell für die Stasi gespitzelt haben, die also jetzt nicht wirklich angestellt waren, sondern das aus welchen Gründen auch immer eben nebenbei, sage ich mal, gemacht haben. Gibt es denn auch Listen von offiziellen Mitarbeitern der Stasi?

    Benner: Tatsächlich war 1990 schon mal eine Liste aufgetaucht, die befand sich auf solchen altmodischen Magnetbändern. Dabei handelte es sich um die Gehaltslisten sämtlicher offizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Also es waren rund 91.000 Personen. Die hatte lustigerweise das MFS selbst gespeichert, um deren Rentenansprüche zu sichern, wenn es einen neuen Staat geben sollte. Das war das sogenannte Finanzprojekt.

    Rosenplänter: Diese Liste der inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ist ja nur für Halle rausgegeben worden. Gab es sowas denn auch noch in anderen Städten?

    Benner: Es sind immer mal wieder Listen aufgetaucht. Allerdings in Halle, das war damals das erste Mal, dass in einem solchen Umfang so etwas veröffentlicht wurde. Später gab es dann immer mal wieder Listen, wie zum Beispiel zu konspirativen Wohnungen und anderen Immobilien, die das MFS genutzt hatte. Oder es gab auch eine Liste mit geheimen Stasi-Offizieren, die mal von der TAZ veröffentlicht wurde. Und wenn Sie heute das Internet durchsuchen, dann sehen Sie, dass es zahllose Listen gibt, die da kursieren, die man runterladen kann. Und da ist immer mal wieder sowas aufgetaucht. Aber nichts hat einen solchen Aufruhr ausgelöst wie diese Listen aus Halle.

    Rosenplänter: Sie haben eben schon das Neue Forum genannt, das dann die Listen kopiert und ausgelegt hat. Und das hatte ja dann eben auch ein juristisches Nachspiel. Das ist im Grunde durch alle Instanzen gegangen. Und immer wieder hat das Neue Forum diese Verfahren verloren. Also Sie hätten nach Aussage der Gerichte diese Listen eben nicht auslegen dürfen. Mit dem Ergebnis, dass 30 Stasi-Mitarbeiter, deren Namen geschwärzt bleiben mussten auf dieser Liste. Bis dann das Bundesverfassungsgericht kam.

    Benner: Ja, in der Tat hatten 30 Personen veranlasst, dass ihre Namen geschwärzt werden mussten. Das neue Forum hat dann allerdings auch gleich schon die Gauck-Behörde damit einbezogen und hat die Personen überprüfen lassen. Und es kam heraus, dass sie im Grunde schon zu Recht auf dieser Liste standen und 19 davon haben dann eigentlich ihre Klage auch sofort zurückgezogen. Und am Ende blieb dann eigentlich nur noch eine Handvoll Klagen bestehen, die dann die Gerichte bis ins Jahr 2000 beschäftigt hat. Das waren dann solche Fälle wie zum Beispiel eine Kaffeehausbetreiberin, die immer wieder betonte, dass ihr Café zwar als Treffpunkt genutzt worden sei, aber sie nicht willentlich jetzt in diese Machenschaften verstrickt gewesen sei. Und die eben darauf bestand, dass ihr Name in diesem Zusammenhang nicht mehr genannt werden dürfte. Der Bundesgerichtshof, der hat dann schließlich für diese Klägerin nochmal entschieden und hat gesagt, da sie keine Person der Zeitgeschichte sei, wäre auch das Interesse der Öffentlichkeit an ihrem persönlichen Namen jetzt nicht so groß, sodass da keine wirkliche Aufklärungsarbeit geleistet worden sei, dadurch, dass ihr Name genannt wurde. Und das Bundesverfassungsgericht, das hat später darauf hingewiesen, dass natürlich das Ministerium für Staatssicherheit als Stütze der SED-Diktatur sehr wohl von allgemeinem öffentlichen Interesse sei. Das hat aber diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht nochmal aufgehoben, sondern hat nur darauf hingewiesen, dass damals nicht alles bedacht worden sei.

    Rosenplänter: Sie haben eben auch gesagt, am Anfang sei nicht bekannt gewesen, wer diese Liste veröffentlicht hat. Ist es denn mittlerweile bekannt?

    Benner: Nein, das ist niemals rausgekommen. Es gibt unterschiedliche Theorien, einerseits Gerüchte auch, dass vielleicht ehemalige Stasi-Mitarbeiter die Liste erstellt hätten, um Unfrieden zu stiften. Aber die Mitglieder des Neuen Forum sagen, dass die Liste schon in Bürgerrechtskreisen erstellt wurde und dass das Ziel gewesen sei, im Grunde die Diskussionen anzuregen. Man hätte damals den Eindruck gehabt, dass diese Überprüfung durch die Gauck-Behörde irgendwie ins Stocken geraten sei, dass das alles zu langsam ginge und dass man mit Veröffentlichung dieser Liste eben beabsichtigt habe, sogenannte Eilverfahren zu ermöglichen, durch die eben Überprüfungen von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst und so weiter schneller in die Wege geleitet werden könnten.

    Rosenplänter: Das Ganze war ja im Sommer 1992, also zweieinhalb Jahre nach dem Mauerfall. Hat das dann eben zur Aufarbeitung der Vergangenheit beigetragen? Oder hat das eher dazu geführt, dass die Gräben vergrößert wurden und alte Wunden aufgerissen wurden?

    Benner: Tja, wahrscheinlich sowohl als auch. Allerdings insgesamt kann man sicherlich rückblickend sagen, dass durch diese Veröffentlichung die Diskussion nochmal angeregt wurde, auch darüber, wie der Einzelne eben in diesen Machenschaften verstrickt war und auf der anderen Seite nochmal sehr deutlich wurde, wie unglaublich weitreichend ja dieses Spitzelnetz gewesen war und dies hat dann letztendlich wahrscheinlich stärker zur Aufarbeitung beigetragen, als dass es tatsächlich Gräben aufgerissen hätte.

    Rosenplänter: Danke Ihnen, Frau Benner, für die Informationen.

    Benner: Danke, Ihnen auch.

    Rosenplänter: Die nächste Zeitgeschichte blickt ein bisschen in die Zukunft, obwohl wir ja eigentlich ein zeitgeschichtlicher Podcast sind. Aber im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig steht das Modell der Einheitswippe, wie sie im Volksmund genannt wird. Also das Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin, das aktuell vor dem neuen, alten Stadtschloss gebaut wird. Wenn ihr bis hierhin durchgehalten habt, dann scheint euch dieser Podcast ja zu gefallen, das freut uns sehr. Und es würde uns noch mehr freuen, wenn ihr anderen davon erzählen könntet, uns empfehlen würdet. Das wäre super. Und wenn ihr es nicht schon gemacht habt, gerne auch den Podcast abonnieren, dann bekommt ihr auch die nächste Folge direkt angezeigt. Danke euch, bleibt gesund und bis zum nächsten Mal.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dr. Iris Benner, wissenschaftliche Mitarbeiterin