1953 - Tod Stalins
  • Vor 70 Jahren stirbt einer der brutalsten Herrscher der Weltgeschichte: Josef Stalin. Seiner Terrorherrschaft fallen Millionen von Menschen zum Opfer. Nach seinem Tod werden Stalin-Statuen und Bildnisse öffentlich zerstört. Sein Tod hat auch Auswirkungen auf die DDR, die (macht)politisch von der Sowjetunion abhängig ist.

    Rosenplänter: Meike Rosenplänter ist mein Name, hallo. Stalingrad gibt es nicht mehr. Seit 1961. Seitdem heißt diese russische Millionenstadt, in der im Februar 1943 die Rote Armee den Vormarsch der deutschen Wehrmacht gestoppt hat, Wolgograd. Doch 62 Jahre später hat Stalingrad ein Comeback. Der aktuelle Machthaber in Russland, Wladimir Putin, gibt der Stadt ihren alten Namen zurück. Das nur temporär, zur Gedenkveranstaltung des 80. Jahrestags der Schlacht von Stalingrad. Russland feiert so seinen Sieg über Nazi-Deutschland und stellt auch eine neue Büste von Stalin auf – in der Vergangenheit wurden Stalin-Büsten eher niedergerissen. Aber fangen wir vorne an: Wer ist dieser Stalin eigentlich, der vor 70 Jahren starb…?! Das kann uns Daniel Kosthorst sagen, er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig.

    Kosthorst: Ja, Stalin! Der wurde im Dezember 1878 oder 1879 – so genau kann man das nicht festlegen – unter einem ganz anderen Namen geboren, nämlich als Iosseb Bessarionowitsch Dschugaschwili, in Georgien. Und diesen Kampfnamen, Stalin, was so viel heißt wie „der Stählerne“, den trug er erst seit 1912.

    Rosenplänter: Nach dem Ende der Zarenherrschaft 1917 macht Stalin Karriere in der kommunistischen Partei. Nach Lenins Tod 1924, dem Begründer der Sowjetunion, schaltet Stalin alle innerparteilichen Gegner aus und macht sich zum uneingeschränkten Diktator. 30 Jahre lang bleibt er danach Alleinherrscher in der Sowjetunion – und seine Gewaltherrschaft ist geprägt von Terror.

    Kosthorst: Also, man kann sagen: Er ist einer der brutalsten Herrscher der Weltgeschichte, dessen Terrorherrschaft Millionen von Menschen zum Opfer fielen. Er war etwa Anfang der 1930er Jahre verantwortlich für die Ermordung von Millionen von Bauern im Zuge der Enteignung zur Zwangskollektivierung. Und das hat vor allem in der Ukraine eine beabsichtigte Hungersnot ausgelöst, die also wirklich zu bis zu 7 Millionen Toten geführt hat. Und in den 1930er Jahren – 1937 bis 39 – hat er eine große Säuberung initiiert, der also die gesamte politische und militärische Elite der Sowjetunion zum Opfer fiel. Außerdem, in der gesamten Herrschaftszeit wurden Hunderttausende verhaftet und in ein System von Zwangsarbeitslagern – das nennt sich Gulag – gesteckt, in denen ebenfalls ganz, ganz viele elend umkamen.

    Rosenplänter: Stalin selbst stirbt am 5. März 1953.

    Kosthorst: Ja, das ist eine etwas seltsame Geschichte. Er erlitt nach einem Trinkgelage auf seiner Datscha bei Moskau am 28. Februar 1953 einen Schlaganfall. Und den hat man aber zunächst mal gar nicht bemerkt, weil sich nämlich niemand traute, am nächsten Tag in sein Schlafzimmer zu gehen. Also die Angst vor ihm und seinem Ärger war so groß, dass man ihn hat lange liegen lassen. Und erst als er dann entdeckt wurde und man das feststellte, haben die Mediziner tagelang um sein Leben gekämpft und schließlich am 5. März 1953 seinen Tod festgestellt.

    Rosenplänter: Danach ist Trauer angesagt, zumindest von offizieller Seite. Auch in der DDR, die die Sowjetunion als ihren großen Bruder ansieht.

    Kosthorst: Es gab einfach eine von der SED organisierte landesweite Trauer, also in den Betrieben und Schulen gab es Trauerfeiern und in Leipzig wurde am Tag der Beisetzung, ein paar Tage später am 9. März 1953, noch einmal eine große Stalin-Skulptur aufgestellt und da mussten die angeordneten Trauerzüge der Werktätigen dann ihre Kränze ablegen. Die Propaganda feierte den Diktator wie einen Heiligen.

    Rosenplänter: Sein Nachfolger wird Nikita Chruschtschow. Er will zwar nicht das politische System in der Sowjetunion ändern, aber ein paar wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen auf den Weg bringen. Und er will seinen Vorgänger vom Sockel stoßen. Die Entstalinisierung beginnt in der Sowjetunion und auch in den befreundeten Ländern des sogenannten Ostblocks wie Polen, Ungarn und später auch ein wenig in der DDR.

    Kosthorst: Er hat auf dem 20. Parteitag der KPDSU am 25. Februar 1956 mit Stalins brutaler Herrschaft abgerechnet. Im Geheimen, ja, aber er benannte die Verbrechen und verurteilte diesen Personenkult. Aber: Dieser Schritt führte vor allem in Polen und in Ungarn rasch zur Infragestellung des kommunistischen Systems als solchen. Die Parteiführer, die unter Stalin an die Macht gekommen waren, die wurden abgelöst, und die Kritik in der Bevölkerung nahm zu und richtete sich bald auch gegen die sowjetische Besatzung.

    Rosenplänter: Das führt dazu, dass Stalin-Statuen aus der Verankerung gehoben und Bildnisse von Stalin öffentlich zerstört werden. Unter anderem auch eine Büste aus dem polnischen Posen (Korrektur: Lodz), die wir im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig in unserer Dauerausstellung zeigen.

    Kosthorst: Das ist eine Stalin-Büste aus Gips, die auf Textil aufgetragen ist. Und die ist eben sichtbar in Gesicht beschädigt, wahrscheinlich durch Schläge, und das deutet darauf hin, dass hier vermutlich Menschen in ihrer Wut sich gegen diese Statue irgendwie gewendet haben.

    Rosenplänter: Die Büste ist ein besonders geeignetes Objekt, um in der Ausstellung diese Mehrdeutigkeit der Herrschaft Stalins zu zeigen, sagt Daniel Kosthorst.

    Kosthorst: Die Büste veranschaulicht zum einen den Personenkult um den sowjetischen Diktator. Einfach, weil eben eine solche Büste entstanden ist, denn die dienten ja ursprünglich der Verehrung. Zugleich zeigt aber diese Büste durch ihre Beschädigung den Widerstand und den Hass der Beherrschten, in diesem Fall eben der Polen, die 1956 mutig gegen den Stalinismus aufbegehrten und ihre Freiheit verlangten.

    Rosenplänter: Während Stalins Herrschaft bewundern ihn seine Befürworter und Unterstützer vor allem dafür, dass er aus der Sowjetunion einen modernen Staat machen will. Stalin will die Wirtschaft der Sowjetunion voranbringen – aber auch dafür nimmt er viele Opfer in Kauf.

    Kosthorst: Er ließ also Bahnstrecken, Wasserstraßen, Kraftwerke, Bergwerke bauen, Großprojekte, Eisen und Stahlindustrie und Maschinenbau, also die Modernisierung der Sowjetunion, das war sein großes Thema. Und der damit verbundene Personenkult, der wurde durch den Zweiten Weltkrieg ins Unermessliche gesteigert und nach dem Sieg dann über Hitler-Deutschland in die europäischen Vasallenstaaten übertragen, auch in die DDR.

    Rosenplänter: Auch in der DDR gilt Stalin den führenden Politikern und Politikerinnen als Leitfigur. Die DDR ist zwar nach ihrer Gründung 1949 auf dem Papier ein eigenständiger Staat, faktisch ist sie abhängig von der Sowjetunion – und damit auch von Stalin.

    Kosthorst: Was in der Sowjetunion galt, das war das Wort Stalins. Also, die DDR war auf Energie- und sogar Lebensmittellieferungen angewiesen. Außerdem konnte überhaupt nichts gegen den Willen Stalins dort geschehen. Deshalb wird dort um ihn auch genauso ein Personenkult gemacht wie in der Sowjetunion. Auch da war es so, dass auf Kundgebungen sein Portrait wie eine Ikone getragen wurde und es gab in verschiedenen Städten Stalin-Denkmäler. Ein ganz besonders Großes in Berlin, aber auch in Leipzig auf dem Karl-Marx-Platz – heute ist das der Augustusplatz. Straßen wurden natürlich nach ihm benannt. Am bekanntesten in Ost-Berlin die Stalin-Allee. Und sogar eine Stadt erhielt seinen Namen: Das heutige Eisenhüttenstadt, das hieß ursprünglich Stalinstadt.

    Rosenplänter: Kurz nach Stalins Tod gibt es in der DDR einen Aufstand gegen das politische System, am 17. Juni 1953. Der wird aber derart brutal niedergeschlagen, dass sich selbst Jahre später, während der Phase der Entstalinisierung, niemand mehr auf die Straße traut.

    Kosthorst: Walter Ulbricht war dann selbst unter Stalin auf den Posten gekommen und er fürchtete natürlich mit dieser Entstalinisierung um seine Macht und distanzierte sich zwar von Stalin, gab aber die Parole an seine Partei dann aus: Keine Fehlerdiskussion! Es sollte also eben nichts in Frage gestellt werden. In der DDR habe es ja nie einen Personenkult gegeben, daher müsse jetzt auch nichts korrigiert werden. Und so hat Ulbricht es geschafft, sich mit ganz geringen Zugeständnissen und harter Machtpolitik an der Spitze von Partei und Staat zu halten. Und interessanterweise ließ er das Stalin-Denkmal in Berlin erst im November 1961 demontieren und änderte auch erst dann den Namen Stalinstadt in Eisenhüttenstadt. Also, er hat sozusagen relativ lange noch an diesem Namen in der Öffentlichkeit festgehalten.

    Rosenplänter: Es kommt auch in anderen Ländern zu Aufständen.

    Kosthorst: Im Juni 1956 etwa kam es im polnischen Posen zu einem Arbeiteraufstand, der nur mit Panzern niedergeschlagen werden konnte. Und in Ungarn gab es dann im Oktober 1956 sogar eine Revolution, die in dem Austritt Ungarns aus dem Warschauer Pakt, also dem Militärbündnis unter Leitung der Sowjetunion, gipfelte. Und diesmal rückten dann sowjetische Truppen ein und beendeten den Aufstand blutig. Man geht so von mindestens von 3.000 Toten und 200.000 Geflüchteten aus, die Ungarn in Richtung Westen verließen. Und insofern war die Entstalinisierung eben keine Befreiung. Also, Chruschtschow wollte den Kommunismus von den Schrecken Stalins befreien, aber er wollte nie die Macht aufgeben und das System auflösen.

    Rosenplänter: Stalins Herrschaftszeit wird in der Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Einerseits als Leitfigur der SED-Herrschaft in der DDR, aber auch als Verantwortlicher für Millionen Tote und als Hassfigur der Gegner der Kommunistischen Herrschaft in Europa.

    Kosthorst: Wir wollen, dass unsere Gäste erfahren, welche gewaltige, aber eben auch zugleich gewalttätige Rolle dieser Diktator für die sowjetisch-russische, für die europäische und auch für die deutsche Geschichte gespielt hat. Sie können begreifen, wie furchtbar sich die Diktatur eines einzelnen auswirken kann, selbst, wenn sie im Namen einer vermeintlich guten Idee ausgeübt wird. Und schließlich sollen sie erkennen – und können das an dieser Geschichte – dass die Überhöhung einer Person als starker Anführer und Retter eigentlich immer unser Misstrauen wecken sollte, weil sie zum Machtmissbrauch führt.

    Rosenplänter: Also, wenn Ihr das nächste Mal in der Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig seid, schaut doch mal genauer nach dieser Büste. Wir würden uns auf jeden Fall freuen, Euch dort begrüßen zu dürfen. Bis dahin, eine schöne Zeit!


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dr. Daniel Kosthorst, Wissenschaftlicher Mitarbeiter