2018 - Rau statt kuschelig
  • Kuscheltiere sind meist kuschelig und flauschig. Aber in der Weltstadt des Spielzeugs, im thüringischen Sonneberg, werden schon zu DDR-Zeiten Kuscheltiere hergestellt, die gerade nicht flauschig sind. Sie werden für Therapien eingesetzt und sind mittlerweile so bekannt, dass sie in New York im Museum ausgestellt werden.

    Rosenplänter: Eigentlich sind Kuscheltiere ja meist weich und flauschig, kuschelig eben. Hallo, Meike Rosenplänter ist hier. Aber ausgerechnet in der Weltstadt der Kuscheltiere, in Sonneberg in Thüringen, werden Kuscheltiere hergestellt, die gerade nicht weich und flauschig sind, die aber trotzdem extrem beliebt und mittlerweile sehr wertvoll sind. Und die werden schon seit DDR-Zeiten hergestellt, in Handarbeit. Und weil diese Kuscheltiere so besonders sind, haben wir davon auch welche in unseren Ausstellungen. Ein Nashorn im Museum in der Kulturbrauerei in Berlin und eine Schildkröte im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Die ist ein bisschen versteckt, da müsst ihr erst eine Schublade von einer Vitrine öffnen, aber dann ist sie nicht mehr zu übersehen. Was wir jetzt noch nicht geklärt haben, ist, warum diese Kuscheltiere überhaupt so was Besonderes sind und warum es Sinn macht, dass sie gerade nicht flauschig und kuschelig sind. Und das kann uns Anne Meinzenbach erklären, sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Hallo, Frau Meinzenbach.

    Meinzenbach: Hallo.

    Rosenplänter: Was ist denn jetzt das Besondere an diesem Spielzeug, oder ist das ganz normales Spielzeug aus Sonneberg?

    Meinzenbach: Also das Besondere an diesem Kuscheltier ist zum einen sein Material. Also wir haben hier kein Plüschtier im klassischen Sinn, sondern eine Schildkröte aus grob gewebter Jute. Und das ist also ein sehr ungewöhnliches Material. Das war aber spannend für den Einsatz quasi, für den diese Tiere entstanden sind, nämlich für das therapeutische Spielen. Und dieser grobe Stoff regt also zum Feinfühlen an und zum Anfassen. Und das ist sozusagen das Besondere an unserer Schildkröte, die wir hier in der Ausstellung haben.

    Rosenplänter: Gibt es denn sowas wie das typische Spielzeug aus Sonneberg?

    Meinzenbach: Man kann das schon sagen. Also Sonneberg war zu DDR-Zeiten die Produktionsstadt für Puppen und Plüschwaren. Und dieses therapeutische Spielzeug macht also quasi nur einen kleinen Prozentsatz aus. Aber darüber hinaus wurden in dem großen Kombinat unzählige weitere Spielzeuge produziert. Also wir haben insgesamt um die 15.000 Produkte, die hergestellt wurden. Und das geht also von Puppen, Plüschtieren über Modelleisenbahnen, Holzspielwaren bis hin sogar zu Kinderfahrzeugen und Bastel- und Beschäftigungsmaterial. Also es ist eigentlich ein ganz breit aufgestelltes Sortiment gewesen in der DDR-Zeit.

    Rosenplänter: Und wer hat jetzt dieses therapeutische Spielzeug hergestellt?

    Meinzenbach: Also das therapeutische Spielzeug, das ist Spielzeug von Renate Müller. Die kleine Schildkröte, die hier in unserer Ausstellung ist, ist also eine von ihren neueren Produkten aus dem Jahr 2018. Und Renate Müller ist also eng mit Sonneberg verbunden, dort 1945 geboren und war von Beginn an eng mit Spielzeug verbunden, denn sie ist quasi im elterlichen Betrieb groß geworden, einer Spielzeugfabrik. Und hat also dann auch ganz gezielt nach dem Abitur an der Fachschule für Spielzeug in Sonneberg ein Studium aufgenommen, Anfang der 60er Jahre. Und in diesem Studium hat sie also Helene Häusler kennengelernt, eine Dozentin. Und Helene Häusler war dem Bauhaus verbunden. Also die ist auch eine deutsche Spielzeuggestalterin und hat in den 50er Jahren dieses ungewöhnliche Material, das sogenannte Rupfenmaterial, also diesen Jutestoff, ihren Studenten gegeben und die Aufgabe gestellt, entwickelt daraus Tiere. Und auch Renate Müller hat das dann quasi in ihrem Studium gemacht. Und da war die erste Begegnung mit diesen sogenannten Rupfentieren.

    Rosenplänter: Wieso kann man in Sonneberg Spielzeug studieren?

    Meinzenbach: Also Sonneberg entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts zur Welt-Spielwarenstadt. Also es hat dort eine lange Tradition, die schon bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Da war dort zunächst Holzspielzeug hergestellt. Und um den Ersten Weltkrieg stieg das wirklich so auf, dass also Sonneberg zu einem Weltmarktführer wurde bei der Spielzeugproduktion. Und das schlug sich auch darin nieder, dass man quasi die Mitarbeiter in der Spielwarenproduktion ausbilden wollte und hat also eine eigene Schule für die Spielwaren gegründet. Und da konnte man zur damaligen Zeit Spielzeuggestaltung studieren.

    Rosenplänter: Kann man sagen, jedes Kind in der DDR hatte mit Sicherheit mindestens ein Spielzeug aus Sonneberg?

    Meinzenbach: Also ich denke schon, dass man das sagen kann. Sogar ich habe jetzt in meiner Recherche für die Thematik in den Katalogen der damaligen Zeit Dinge wiederentdeckt, die auch in meinem Kinderzimmer sich befunden hatten. Aber es hatten sicherlich auch Kinder in Westdeutschland Dinge aus Sonneberg in ihren Kinderzimmern, denn es wurde nämlich auch im großen Umfang für den Export produziert.

    Rosenplänter: Wie war das denn da in den Betrieben, die Aufteilung, so wie wir es oftmals kennen? Also dass Frauen oft an den Nähmaschinen sitzen und Männer in der Chefetage waren? Also ganz klischeehaft gesprochen, war das da auch so oder war das da irgendwie anders?

    Meinzenbach: Also das ist natürlich schon so, dass Frauen da klassisch in diesem Bereich tätig waren. Aber es gab natürlich auch immer Ausnahmen, wie zum Beispiel Renate Müller, die auch nach der Verstaatlichung des elterlichen Betriebs weiter gestalterisch tätig war. Und natürlich waren das dann andere Rahmenbedingungen in der Produktion.

    Rosenplänter: Was bedeutet Verstaatlichung?

    Meinzenbach: Also in den 70er Jahren war es dann so, dass aus den noch privat geführten Betrieben in Sonneberg und Umgebung, wurden dann volkseigene Betriebe. Also im Fall von Renate Müller war das so, dass 1972 recht kurzfristig die Anweisung kam, sich in den VEB therapeutisches Spielzeug umzubenennen. Und einige Jahre später ging das dann auch im großen Kombinat Sonni auf, der gesamte Betrieb. Das heißt, ein Kombinat führte Betriebe in Sonneberg und Umgebung zusammen, um die Spielzeuge in diesem Maße herzustellen.

    Rosenplänter: Durften die Menschen denn da dann noch machen, was sie herstellen wollten, oder wurde das von oben vorgegeben?

    Meinzenbach: Ja, das waren natürlich jetzt ganz andere Bedingungen. Also Renate Müller hat selbst berichtet, was das für ihre Familie bedeutet hat. Also ihr Vater, der schon seit den 60er Jahren immer auch aktiv in den Messen war und dort natürlich seine Produkte angeboten hat, war zum Beispiel schwer getroffen von dem Umstand, dass er gezwungen wurde, Preissenkungen an den Produkten vorzunehmen, obwohl ihm bewusst war, dass eigentlich noch ein viel höherer Preis erzielt werden könnte. Das wäre zum Beispiel ein so ein Eingriff gewesen. Also die Preissteuerung und die Preispolitik erfolgte von oben. Und Renate Müller, die also ja im elterlichen Betrieb diese Produktion der Rupfentiere vorangebracht und umgesetzt hatte, war jetzt dann im großen Betrieb kaum noch in der Lage, künstlerisch kreativ tätig zu werden. Also das Gestalterische rückte immer mehr in den Hintergrund, obwohl sie sich sogar noch an der Burg Giebichenstein in Halle weiter qualifizierte, sodass sie am Ende der 70er Jahre sogar die Konsequenz daraus zog und kündigte. Ein sehr ungewöhnlicher Vorgang für die damaligen Zeiten.

    Rosenplänter: Wie wichtig war die Spielzeugindustrie denn?

    Meinzenbach: Also die war elementar in der Region. Also wenn man jetzt mal Zahlen sieht, zum Beispiel 1981 gab es in Sonneberg und Umgebung 31 Betriebe mit 900 Betriebsteilen und Produktionsstätten. Da waren ungefähr 27.000 Menschen beschäftigt. Also das ist schon ein sehr großes Kombinat gewesen und produzierte im Jahr 1981 Spielzeug im Wert von 1,2 Milliarden Mark.

    Rosenplänter: Wow.

    Meinzenbach: Also da sieht man also, was das bedeutet hat.

    Rosenplänter: Wie sind denn diese Rupfenspielsachen von Frau Müller angekommen? Weil die waren ja nicht so richtig kuschelig, die waren ja eher so rau.

    Meinzenbach: Genau, und das war nämlich schon auf der ersten Messe hier in Leipzig, 1967 wurden die ersten Tiere präsentiert, und zwar unter dem Slogan Rau aber herzlich. Und da war es wirklich so, dass das auch zu Verwunderung führte bei den anderen Sonneberger Betrieben, die dort ausstellten. Aber interessanterweise kamen die Tiere gerade bei Ärzten, Psychologen und Therapeuten sehr gut an, die eigentlich hier schon den Nutzen erkannten für ihre Tätigkeitsfelder.

    Rosenplänter: Was waren das für Tätigkeitsfelder?

    Meinzenbach: Also dieses Spielzeug wurde dann speziell für die Therapie weiterentwickelt. Das heißt also zum Beispiel, das Krokodil entwickelte Renate Müller so, dass man wirklich dazu eine Art Handbuch bekam, welche Übung mit diesem Tier durchgeführt werden konnte. Und so regt es zum Beispiel durch seine Gestaltung zum Greifen an, oder Kinder haben dann von sich aus im Spiel Bewegungen absolviert, die ihnen eigentlich schwerfielen, oder zum Beispiel schüchterne, zurückhaltende Kinder wurden über das Spielzeug animiert, sich zu öffnen. Und das ist wirklich immer wieder auch der rote Faden durch die Arbeit von Renate Müller zu überlegen, wie kann diesen Kindern mit diesen Beeinträchtigungen geholfen werden, über das Spielen.

    Rosenplänter: Wie war das denn dann, als die Wiedervereinigung da war? Da sind ja sehr, sehr viele Betriebe in der ehemaligen DDR kaputt gegangen, einfach weil sie es nicht mehr finanzieren konnten, in der Privatwirtschaft zu existieren. Wie war das mit den Spielzeugherstellern in Sonnenberg? Gibt es da welche, die diese Transformation geschafft haben?

    Meinzenbach: Ja, es gibt vereinzelte Betriebe, aber das ist natürlich kein Vergleich mehr zu den Zahlen, die ich jetzt für das Jahr 1981 genannt habe. Wir haben ja dort noch einzelne alleinstehende Gestalter, wie zum Beispiel Renate Müller, die ja immer noch in Sonnenberg tätig ist. Aber wir haben auch Modelleisenbahnen und Plüschtiere noch, aber nicht mehr in dem Umfang wie damals.

    Rosenplänter: Das heißt, wenn man heute nach Sonnenberg kommt, merkt man dann immer noch, dass das eine Weltstadt des Spielzeugs war?

    Meinzenbach: Man merkt es vermutlich am Deutschen Spielzeugmuseum. Das haben wir ja seit 1901 in Sonnenberg und das hat eine umfangreiche Sammlung zum Spielzeug. Die Stadt selber, die nennt sich noch Spielzeugstadt, aber das ist natürlich nicht mehr in der Dimension, wie es zu DDR-Zeiten gewesen ist.

    Rosenplänter: Sie haben eben gesagt, Renate Müller arbeitet heute noch. Das heißt, sie stellt heute tatsächlich auch noch therapeutisches Spielzeug her?

    Meinzenbach: Sie ist immer noch, genau, als Gestalterin tätig, hatte sogar dann mit 65 Jahren ihre erste Ausstellung in New York und seitdem also auch ist ihr Spielzeug sehr gefragt. Und was sie auch macht: sie restauriert auch die alten Spielzeuge und das macht sie auch mit großer Begeisterung, wenn sie quasi wieder auf die alten Rupfentiere der vergangenen Jahrzehnte trifft, die immer weiter noch genutzt werden, in den Arztpraxen zum Beispiel.

    Rosenplänter: Wie kam es denn, dass dieses Spielzeug in New York ausgestellt wurde?

    Meinzenbach: Renate Müller war ja seit 1991 selbstständig tätig. Das war nicht immer eine leichte Zeit. Sie hat es aber dann geschafft, immer wieder ihre Produkte auf Messen zu präsentieren und ihre Spielwaren wurden weiter gekauft, auch für therapeutische Zwecke. Und dann wurde eine New Yorker Galerie auf sie aufmerksam, die dann 2010 und auch in den Folgejahren immer wieder Einzelausstellungen mit ihren Objekten zeigte. Und sogar das Museum of Modern Art hat im Jahr 2012 Objekte von Renate Müller in der Ausstellung Century of a Child, wo man sich also mit der Geschichte der Kindheit auseinandergesetzt hat, präsentiert. Und das war natürlich ein besonderer Erfolg.

    Rosenplänter: Hat sie da denn jetzt immer noch Ausstellungen oder war das nur so eine einmalige Sache?

    Meinzenbach: Nein, die Galerie vertritt sie immer noch. Und jetzt hat sie sogar 2017 mal eine Arbeit abseits der Rupfentiere, ein Teppich auf der Biennale in Venedig ausgestellt. Also Renate Müller ist gut beschäftigt mit ihrer Tätigkeit.

    Rosenplänter: Renate Müller hat übrigens vor ein paar Jahren mal ausgerechnet, dass ihr Rupfen, den sie noch aus DDR-Beständen hat, reichen wird, bis sie 80 Jahre alt ist. Jetzt ist sie Mitte 70. Danke Ihnen, Frau Meinsenbach, für die Information.

    Meinzenbach: Gern geschehen.

    Rosenplänter: Für die nächste Zeitgeschichte habe ich eine Frage für euch. Was würdet ihr euch kaufen, wenn ihr 100 Euro geschenkt bekommen würdet? Was sich die Menschen aus der DDR nach dem Mauerfall von ihren ersten 100 D-Mark gekauft haben, dem Begrüßungsgeld nämlich? Das ist auch Thema in unserer Ausstellung im zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Eine Künstlerin aus Sachsen hat diese Objekte und Geschichten dazu gesammelt. Und diese Geschichten hört ihr das nächste Mal. Bis dahin, bleibt gesund. Ciao.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Anne Meinzenbach, wissenschaftliche Mitarbeiterin