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Diese Geruchsmischung aus Kaffee, Seife, Tee und Schokolade ist wahrscheinlich vielen Menschen aus der DDR in guter Erinnerung – sie steckt gemeinsam mit den Leckereien in den Paketen, die von Freunden und Verwandten aus dem Westen geschickt werden. Aber auch von Ost nach West werden Pakete verschickt.Rosenplänter: Es ist ja immer wieder faszinierend, wie sehr Gerüche mit Erinnerungen verknüpft sind. Der Geruch vom Meer zum Beispiel, von einem bestimmten Lieblingsort, auch von Menschen, die wir mögen. Wenn wir diesen Geruch vielleicht nach längerer Zeit wieder mal in die Nase bekommen, dann ist das immer was ganz Besonderes. Keine Sorge, ihr hört tatsächlich Zeitgeschichten, der Museumspodcast der Stiftung Haus der Geschichte. Mein Name ist Meike Rosenplänter und in dieser Folge geht es um eine Geruchserinnerung, die viele Menschen haben, die in der DDR gelebt haben. Wie meine Kollegin Anja Hesse-Grunert aus der Online-Redaktion. Sie ist in der Nähe von Dresden groß geworden.
Hesse-Grunert: Ich wünschte, ich hätte diesen Duft konservieren können.
Rosenplänter: Dieser Duft, von dem Anja so schwärmt, ist der eines sogenannten Westpakets. Diese Westpakete, die haben ihre Familie und sie regelmäßig von Bekannten aus der Bundesrepublik bekommen, als es die DDR noch gab.
Hesse-Grunert: Und zwar ist es eine Familie gewesen, die nach dem Krieg aus Königsberg bei der Familie meiner Mutter untergekommen sind, in einem kleinen Dorf bei Dresden. Und naja, die da offenbar von meinen Urgroßeltern gut aufgenommen wurden und gut versorgt wurden. Und dann hat die Dame aus Dankbarkeit uns jahrelang unterstützt.
Rosenplänter: Die Pakete aus dem Westen kamen nicht sehr häufig, aber regelmäßig.
Hesse-Grunert: Ich erinnere Pakete zum Schulanfang oder zur Taufe meiner Schwester oder zu meiner Konfirmation. Da haben wir dann was bekommen oder eben zu Weihnachten. Und das war wirklich großes Kino.
Rosenplänter: Großes Kino, vor allem deshalb, weil da meistens Sachen drin waren, die die Menschen in der DDR sonst nicht kaufen konnten, sagt Franziska Gottschling. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Museum in der Kulturbrauerei in Berlin.
Gottschling: Die Westpakete enthielten Dinge, die es in der DDR nicht gab und deswegen waren sie für Familien in der DDR, für Menschen in der DDR eine Geschenksendung. Also es stand auch immer drauf auf diesen Paketen, Geschenksendung, keine Handelsware. Und waren auch wirkliche Geschenke, die so ein bisschen Weihnachtsgefühl am Wohnzimmertisch verbreiteten.
Rosenplänter: Bei Anja begann die Vorfreude aber immer schon weit vor dem Wohnzimmertisch.
Hesse-Grunert: Das war einfach zauberhaft. Also ich kam aus der Schule und habe als erstes immer die Post geleert, also bin zum Briefkasten gegangen und habe dann meistens als erste die Abholkarte von der Post gefunden. Und bin dann entweder, als ich größer war, alleine zur Post gegangen und habe das Paket abgeholt oder meine Mutti ist gegangen und hat es abgeholt. Und ja, dann mussten wir noch warten, bis mein Vater von der Arbeit kam. Und dann sehe ich uns noch so um den Esstisch sitzen oder im Wohnzimmer am Wohnzimmertisch drumherum knien und dann voller Spannung zur Schere greifen und die Paketschnüre lösen und das eben aufmachen.
Rosenplänter: Und was da immer Besonderes drin war, vor allem für die Kinder. Aber nicht nur.
Hesse-Grunert: In den Paketen waren so Naschereien, also Schokolade mit ganzen Nüssen habe ich noch so quasi auf der Zunge den Geschmack. Kaffee war drinnen und manchmal auch auch Seife. Und manchmal hat sich meine Mutti im Vorfeld Kleinigkeiten für meine Schwester und mich gewünscht. Also ich erinnere, dass wir einmal Haarzeug bekommen haben, also Haarspangen und Haargummis, die so glitzerten. Und ich glaube, mit so kleinen Schmetterlingen oder so. Das fand ich ganz zauberhaft. Und es muss so Mitte der Achtziger gewesen sein, da haben wir Monschichis bekommen. Also diese Knuddelviecher, die sind so braun gewesen und hatten so kuscheliges Fell und es war einfach mega.
Rosenplänter: Was da reingepackt werden durfte, das war penibel genau festgelegt und wurde im Laufe der Jahre auch immer mal wieder verändert. Bis in die 1970er Jahre waren es zum Beispiel maximal 250 Gramm Kaffee, roh, gebrannt, gemahlen oder gemischt. Außerdem 250 Gramm Kakao, 125 Gramm Tee, 300 Gramm Schokolade in Tafeln oder in sonstiger Form und 50 Gramm Tabak oder Tabakerzeugnisse. Später wurde auch mal eine Flasche Rum mitgeschickt oder ein Männerhemd.
Gottschling: Für die DDR waren diese Westpakete ein richtiger Wirtschaftsfaktor. Also die DDR-Führung, die SED hat in ihren Fünfjahresplänen diese Ostpakete dann vor allem später in den 70er und 80er Jahren, gibt es da auch Zahlen für, wie die DDR diese Westpakete oder den Inhalt dieser Westpakete richtig in ihren Wirtschaftsplan eingepresst hat.
Rosenplänter: Heißt, hätte die DDR viel Geld für die Beschaffung eines Produktes ausgeben müssen, zum Beispiel Kaffee, dann wurde davon eher weniger für den allgemeinen Markt gekauft. In der Annahme, die Menschen in der DDR bekämen das ja eh über die Westpakete kostenlos zugeschickt. Aber es wurden auch Pakete zurückgeschickt, von Ost nach West. Und da, so Franziska Gottschling, kamen andere Sachen rein.
Gottschling: Vom Osten in den Westen gab es eher Dinge, die selbst gemacht werden konnten. Also berühmt geworden ist da das Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge, also die Räuchermahnel oder die Schwibbögen mit den Bergarbeitern ausgeschnitzt drin oder die Pyramiden, die sich da mit Kerzen drehen. Und diese Dinge konnte man auch zum Teil selbst herstellen, also ausschneiden und hat die gerne in Ostpakete mitgegeben. Es waren aber auch Bücher, Bücher, die vom Westen in den Osten verboten waren, von Ost nach West aber durchgegangen sind.
Rosenplänter: Auch Schallplatten waren verboten in den Westpaketen, genauso Kassetten und andere Tonträger. Zeitschriften durften auch nicht geschickt werden und Bargeld.
Gottschling: Trotzdem haben die Menschen natürlich versucht, all diese Dinge mitzuschicken. Also wir zeigen das auch in unserer Ausstellung in der Kinderbegleitung für Kinder ab acht Jahre hier im Museum der Kulturbrauerei zum Beispiel, dass wir ein Westpaket auspacken und dann können die Kinder nachvollziehen, wo zum Beispiel Geld oder Kassetten oder Zeitschriften versteckt wurden in so einem Westpaket. Also typisch für ein Versteck für Geld war dieses Staniolpapier der Schokotafeln oder ein doppelter Boden, unter dem dann die Zeitschriften waren. Und all das entdecken wir mit den Kindern gemeinsam und stellen uns eben die Frage, warum diese Dinge eigentlich verboten waren, weil das natürlich an der Zensur der DDR vorbeigegangen wäre und der westliche Einfluss der DDR-Führung zu groß dadurch gewesen wäre.
Rosenplänter: Aber auch die Pakete, die aus der DDR in den Westen geschickt wurden, wurden kontrolliert.
Gottschling: Da wurde eher darauf geachtet, ob nicht jemand Spionage betreibt. Es wurde sich auch beim Wiederverpacken nicht so viel Mühe gegeben, weil es hieß, naja, es denken sowieso alle, dass es die Staatssicherheit in den Postkontrollzentren war. Also es war relativ bekannt, dass diese Pakete kontrolliert wurden.
Rosenplänter: Für Anjas Familie waren diese Pakete eine Möglichkeit, ihre Dankbarkeit auszudrücken. Deshalb hat sie auch viel auf sich genommen, um den Bekannten im Westen eine Freude zu machen.
Hesse-Grunert: Also meine Mutti hat immer ganz liebe Briefe geschickt und sich bedankt. Das war ihr wirklich immer ein Anliegen. Und dann haben wir versucht, Dinge zu schicken, die wir eben hatten und wo wir geglaubt haben, dass es der anderen Familie was bedeuten könnte. Also Dresdner Stollen oder Baumkuchen. Und einmal, das weiß ich noch, weil es eine unglaubliche Aktion war, da hat meine Mama über eine Nachbarin, die im Centrum Warenhaus gearbeitet hat, also heute würden wir sagen einem Kaufhaus, da hat sie eine dreistöckige Weihnachtspyramide aus dem Erzgebirge ergattert und hat die dann an Frau Meier geschickt und war mega, mega stolz. Und diese Pyramide, die hätte es sonst normal nicht gegeben. Das war quasi über Beziehung oder unter dem Ladentisch oder so.
Rosenplänter: Ob das der Familie im Westen wirklich gefallen hat, das weiß Anja nicht.
Hesse-Grunert: Sie haben sich auch bedankt. Ich denke heute, dass denen überhaupt nicht bewusst war, was wir in Teilen für Kopfstände gemacht haben, um eben so ein Paket zu packen. Vielleicht, oder hoffentlich haben sie es einfach auch als Geste gesehen und als das war es ja auch gedacht.
Rosenplänter: Und darum geht es ja auch beim Schenken. Freude bereiten, unabhängig davon, wie viel das Geschenk gekostet hat. Wenn ihr mehr über die West- und Ostpakete erfahren wollt, dann kommt zu uns ins Museum in der Kulturbrauerei in Berlin. Da gibt es auch die Begleitung zum Westpaket, von der Franziska Gottschling erzählt hat. Und im Haus der Geschichte in Bonn und im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig ist das Westpaket auch Thema in unseren Ausstellungen. In diesem Sinne bis bald!
Meike Rosenplänter, Moderation
Anja Hesse-Grunert, Online-Redaktion
Franziska Gottschling, wissenschaftliche Mitarbeiterin
Ost-West-Pakete