1961 - Trennung für 28 Jahre
  • Panzersperren und Stacheldraht trennen plötzlich West und Ost. Aus Steinen, mit denen Häuser in Ost-Berlin gebaut werden sollten, wird die Berliner Mauer hochgezogen. Das SED-Regime macht das letzte Schlupfloch in die Freiheit dicht.

    Rosenplänter: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Zeitgeschichten. Ich bin Meike Rosenplänter und ich begleite euch heute wieder durch das Haus der Geschichte in Bonn. Und wenn man durch dieses Museum geht, dann stehen da an vielen Stellen rote Wände, vielleicht sind die euch beim letzten Besuch hier auch mal aufgefallen. Da sind dann Fotos dran und Vitrinen eingebaut mit Gegenständen und teilweise sind da so Stahlzaun-Elemente mit eingearbeitet. Und diese roten Wände, die stehen immer dann da, wenn es um die Geschichte der DDR geht. Ganz besonders auffällig sind diese Wände, wenn es um den Mauerbau geht. Da sind die so eng gestellt, dass sich das anfühlt, als würde man in einen Tunnel reingehen. Links die Geschichte der DDR, rechts die der Bundesrepublik. Und relativ prominent am Anfang steht da auch eine Rolle Stacheldraht. Die ist etwa einen Meter im Durchmesser gerollt, sieht so ein bisschen aus wie ein Autoreifen aus Draht. Drum herum sind Bilder vom Mauerbau. Und genau darüber spreche ich jetzt mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Katrin Grajetzki. Hallo.

    Grajetzki: Hallo.

    Rosenplänter: Wir kennen die Mauer ja als stabiles Bauwerk, also Mauer eben. Warum steht denn ausgerechnet Stacheldraht für den Beginn dieses Baus?

    Grajetzki: Also in der Tat ist ja so, dass wenn wir an die Mauer denken, haben wir ein stabiles Bauwerk vor Augen, ein massives Bauwerk, Betonplatten, Mauersegmente. Aber die Mauer wurde ja nicht von einem Tag auf den anderen errichtet, sondern bestand unter anderem zuerst nur aus Stacheldraht. Und das können wir uns so vorstellen, dass am 13.August 1961 frühmorgens die Bauarbeiter der DDR unter Aufsicht der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei mitten in Berlin die Straßen aufreißen und dort den Stacheldraht entrollten und weitere Hindernisse errichten. Also West-Berlin wurde abgeriegelt. Die SED, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die Staatspartei der DDR, ließ West-Berlin abriegeln, so dass keiner mehr von Ost-Berlin und von der DDR nach West-Berlin flüchten kann. Und dieses Stück Stacheldraht, was wir hier haben, das ist ein Stück von der innerdeutschen Grenze, die bereits seit 1952 geschlossen war, so dass da keiner mehr flüchten konnte. Und dieser Stacheldraht stammt eben aus den Sperranlagen entlang der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Was dann hinzu kam, der Stacheldraht, der wurde am 13. August 1961 entrollt, wurde dann aber wenige Tage später durch Hohlblocksteine ersetzt. Die haben wir hier vorne. Und das ist für uns ein ganz besonderes Objekt, denn diese Hohlblocksteine stammen aus der ganz frühen Zeit des Mauerbaus, der Grenzsicherungsanlage. Die waren eigentlich vorgesehen für den Ost-Berliner Wohnungsbau, wurden dann aber für die Abriegelung genutzt und damit begann dann der eigentliche Bau der Berliner Mauer. Und wenn wir jetzt weiter durch die Ausstellung laufen würden, ins Jahr 1989, -90, dann haben wir tatsächlich die für uns alle bekannten Mauersegmente, wie wir sie meistens eigentlich im Kopf haben.

    Rosenplänter: Das heißt, außerhalb von Berlin war Deutschland zu dem Zeitpunkt schon geteilt. Das heißt, nur Berlin war noch offen.

    Grajetzki: Genau, das ist ganz wichtig. Wir denken immer an die Berliner Mauer vom 13.August 1961, aber seit 1952 war die innerdeutsche Grenze schon geschlossen. Das heißt, darüber konnte niemand mehr aus der DDR flüchten und Berlin war da wirklich dieser Spezialfall, dass die Sektorengrenzen bis zum 13. August 1961 noch offen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ja Deutschland in vier Besatzungszonen geteilt und Berlin in vier Sektoren. In den amerikanischen Sektor, den französischen, den britischen, den sowjetischen. Der sowjetische Sektor bildete Ost-Berlin und die drei westlichen Sektoren West-Berlin. Und das war was ganz Besonderes, Berlin stand unter dem Vier-Mächte-Status. In Berlin bis zum Mauerbau 1961 konnten die Menschen sich noch bewegen. Das heißt, ich konnte in Ost-Berlin wohnen und in West-Berlin arbeiten, ich konnte in West-Berlin zur Schule gehen, zur Arbeit, Freunde treffen, Familie treffen. Also die ganze Familie war zum Teil über die Stadt verteilt und die Freunde genauso und insofern war es möglich, mich in Ost-Berlin in die S-Bahn zu setzen, rüberzufahren, rüberzulaufen, mit dem Fahrrad rüberzufahren. Das war alles möglich. Man weiß eben ja Zehntausende passierten eigentlich täglich die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin. Die innerdeutsche Grenze war zu dem Zeitpunkt aber schon geschlossen. Und da es dieses Schlupfloch, so wird es ja immer bezeichnet, noch gab, dass ich von Ost-Berlin nach West-Berlin gehen konnte, nutzten viele dieses Schlupfloch noch, um zu flüchten. Das klingt jetzt so einfach, war es aber nicht, denn seit 1957 war Flucht ein Straftatbestand, Republikflucht, und es drohten hohe Gefängnisstrafen. Das heißt, wenn ich flüchten wollte, was viele Familien, viele Menschen gemacht haben, viele gut ausgebildete Facharbeiter, die durften jetzt nicht groß mit Fluchtgepäck ankommen und rüberfahren oder herüberlaufen, sondern mussten sich möglichst unauffällig verhalten. Das heißt, viele haben dann mehrere Kleidungsschichten übereinander angezogen oder sich die Pässe in die Kleidung eingenäht, in die Jacken, um ja nicht aufzufallen und dann im schlimmsten Fall inhaftiert zu werden.

    Rosenplänter: Gibt es da irgendwelche Zahlen, wie viele Menschen geflohen sind?

    Grajetzki: Also man weiß bis zum Mauerbau, also bis 1961, sind circa drei Millionen Menschen aus der DDR geflohen. Heute, um diese Zahl sich zu verdeutlichen, wohnen circa dreieinhalb Millionen Menschen in Berlin, also ungefähr so viele Menschen, wie heute in Berlin wohnen, so viele sind damals aus der DDR geflohen. Und wenn man sich jetzt noch mal allein die letzten Augusttage anschaut bis zum Mauerbau am 13. August 1961, da sind auch noch mal circa 47.000 Menschen geflohen nach West-Berlin und später dann auch weiter nach Westdeutschland.

    Rosenplänter: Bei dieser Abgrenzung zwischen Ost und West, gab es da Unterschiede, ob man auf der Ostseite war oder auf der Westseite, wie es da aussah, wie das gesichert war oder so?

    Grajetzki: Ja, also wenn man sich von westdeutscher Seite damals der innerdeutschen Grenze genähert hat oder hätte, dann stießen die Menschen westdeutsch auf Schilder des Bundesgrenzschutzes und wir haben auch eins hier bei uns in der Vitrine und da sieht man auch, wie gefährlich und dramatisch die Situation war, denn wenn wir uns das Schild hier angucken, da steht geschrieben, Achtung! Lebensgefahr! Wirkungsbereich sowjetzonaler Minen. Und die Wörter Lebensgefahr und Minen sind auch noch mal in roter Schrift hervorgehoben und das können sich ja ganz viele Menschen, auch gerade so die jüngeren Leute, gar nicht mehr vorstellen, dass mitten durch Deutschland diese Grenze verlief, circa 1400 Kilometer vom Norden in den Süden und an dieser Grenze Lebensgefahr herrschte. Ich konnte nicht einfach von Bonn nach Leipzig fahren oder Familie in der DDR besuchen, es gab spezielle Grenzübergänge und aber an dieser Grenze herrschte Lebensgefahr durch die Grenzanlagen, die dort errichtet wurden. Berlin war noch mal ein Spezialfall, da warnten auch Schilder der Alliierten, wenn man sich den Sektorengrenzen genähert hat. Und wenn wir uns jetzt aber die andere Seite anschauen, wenn wir uns von DDR-Seite der Grenze genähert hätten, muss man dazu sagen, also Menschen aus der DDR kamen ja eigentlich gar nicht mehr an die Grenze heran. Schon vor der Mauer oder der Grenze, die man von westdeutscher Seite gesehen hat, an die kamen Ostdeutsche gar nicht heran, denn vor dieser Mauer waren schon Sperranlagen, Grenzgebiet, Grenzstreifen, der ja auch Todesstreifen genannt wurde, Wachtürme. Das heißt, an der Grenze gab es schon dann Schilder mit Halt, Staatsgrenze, passieren verboten von DDR-Seite, aber die meisten Menschen sahen eher dann Schilder wie Grenzgebiet. Sie stießen auf Kontrollstellen, sodass sie sich gar nicht der eigentlichen Grenzanlage überhaupt nähern konnten.

    Rosenplänter: Es gibt ja dieses ganz berühmte Bild von diesem DDR-Grenzsoldaten, der über eine Stacheldrahtabtrennung springt, vollkommen in Uniform mit Gewehr auf dem Rücken und sowas und das hängt ja hier auch bei uns in der Ausstellung im Haus der Geschichte. Da gibt es ja immer mal wieder das Gerücht, das Bild sei gestellt, das sei gar kein Zufallstreffer gewesen.

    Grajetzki: Ja, das Bild ist nicht gestellt. Wir haben auf diesem berühmten Foto Conrad Schumann, ein DDR-Bereitschaftspolizist, wie er von Ost nach West-Berlin springt. Und während dieses Sprunges entsteht das berühmte Foto, das dann um die Welt geht. Conrad Schumann ist 19 Jahre alt, so zum Hintergrund des Bildes und er muss am 15. August, also zwei Tage nach dem Mauerbau, hat er Dienst an den Grenzanlagen zwischen Ost und West-Berlin. Und er entscheidet sich wohl während dieses Dienstes zur Flucht und vorab trat er an manchen Stellen die Stacheldrahtrolle etwas herunter, sodass von West-Berliner Seite Fotografen schon aufmerksam wurden. Und es wurde dann auch ein Polizeiauto der West-Berliner Polizei positioniert mit geöffneter Tür als Signal an Conrad Schumann. Und es ist dann auch so, dass er Stunden später dann tatsächlich ansetzt und rüberspringt und im Sprung sein Gewehr zur Seite wirft und in den Westen springt, nach West-Berlin. Und ein Fotograf, Peter Leibing, ist auch zur Stelle und bemerkt auch den nervös wirkenden Conrad Schumann und drückt dann, als er zum Sprung ansetzt, drückt er auf den Auslöser und macht dieses berühmte Bild, wie Conrad Schumann, der DDR-Grenzsoldat, herüberspringt. Und das Foto geht um die Welt und wird auch zur Bildikone des Kalten Krieges, wie ein DDR-Grenzsoldat während des Dienstes sich zur Flucht entscheidet und quasi in den Westen in die Freiheit springt.

    Rosenplänter: Weiß man, wie es dem ergangen ist?

    Grajetzki: Er wurde dann sofort mit dem West-Berliner Polizeiauto weggefahren und bekam eine neue Identität und lebte dann in Bayern und Zeit seines Lebens litt er unter Verfolgungsängste und hatte immer wieder Angst, dass die Stasi ihn entführen würde.

    Rosenplänter: Und genauso wie er haben ja auch unheimlich viele DDR-Bürger eben versucht zu fliehen, dann auch nach dem Bau der Mauer. Wie viele sind dabei ums Leben gekommen, weiß man das?

    Grajetzki: Ja, man weiß für die Menschen, die an der Berliner Mauer ums Leben gekommen sind, dass mindestens 138 Menschen gestorben sind während der waghalsigen Fluchtversuche oder durch die Geschüsse der Grenzsoldaten. Und viele Menschen haben aber diese Fluchtversuche auf sich genommen, weil die Not so groß war, sie wollten nicht mehr in der SED-Diktatur leben. Sie flüchteten vor politischer Verfolgung, vor Enteignung. Sie wollten nicht mehr in einem Land leben, in dem die demokratischen Grundrechte abgeschafft sind, wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, flüchteten vor der Stasi, vor der Staatssicherheit. Und so riskierten trotzdem, obwohl viele wussten, wie gefährlich die Fluchtversuche sind und dass hohe Haftstrafen auch gedroht haben, versuchten viele Menschen weiter zu flüchten. Und es gibt ja auch viele Geschichten von erfolgreichen und spektakulären Fluchten über Flusswege, Landwege oder über die Luft auch. Also es gibt eine Geschichte an der innerdeutschen Grenze, dass eine Familie sich einen Luftballon selbst näht und herüberfliegt und somit es schafft, in die Bundesrepublik zu kommen. In Berlin war es ganz am Anfang möglich. Wir sprachen ja gerade auf die Situation 13. August 1961 über diese Zeit. Da konnten Menschen anfangs noch aus ihren Fenstern springen, denn teilweise verlief die Sektorengrenze ja so, dass das Haus Ost-Berlin war, aber die Straße war schon West-Berlin. Und da gibt es auch berühmte Fotos, wie noch die West-Berliner Feuerwehr die Sprungtücher aufspannen, dass die Menschen dort reinspringen können oder sie hangeln sich aus den Häusern herunter. Das war aber nur ganz zu Anfang möglich, denn dann mussten die Menschen das Grenzgebiet verlassen, sie wurden umgesiedelt oder auch die Häuser wurden zugemauert, die Fenster, dass da gar keiner mehr rausspringen kann. Es gibt auch schreckliche Bilder, wie Menschen noch anfangs versuchen und es auch schaffen, über den Stacheldraht-Verhau zu springen oder sich da hindurch zu drängen. Durch die Spree sind Menschen geflohen, geschwommen oder sie haben sich Tunnel gebaut unter der Berliner Mauer entlang und konnten so noch Ost-Berlin verlassen und flüchten aus der DDR. Aber sie hatten ja nach den Todeszahlen gefragt. Also all diese Fluchtversuche stehen den Zahlen gegenüber oder den menschlichen Schicksalen, die es eben nicht geschafft haben.

    Rosenplänter: Aber das muss doch auch eine furchtbare Situation gewesen sein für die Menschen. Am Anfang konnten sie noch ganz normal in beiden Teilen der Stadt leben oder in allen vier Teilen der Stadt leben, konnten Familie besuchen, arbeiten gehen und so weiter. Und plötzlich konnten sie noch nicht mal mehr die Straßenseite wechseln.

    Grajetzki: Ja. Also Berlin war die Situation besonders schlimm und furchtbar für alle Familien. Natürlich, das muss man immer sagen, vor allem für die Ost-Berliner, die überhaupt nicht mehr rauskamen, die von einem Tag auf dem anderen eingesperrt wurden, das ist es ja. Das 13. August 1961 war ein Sonntag. Es lag in den Sommerferien und Mitternacht beginnt der Bau der Berliner Mauer. Das heißt, viele wachten morgens auf und waren davon überrascht, dass West-Berlin abgeriegelt ist und sie eben Ost-Berlin nicht mehr verlassen konnten. Und das können wir uns, glaube ich, alle vorstellen, wenn wir uns mal fragen, wie ist es denn, wenn ich von einem Tag auf den anderen meinen Stadtteil nicht mehr verlassen kann, wenn ich durch Panzersperren und Mauersteine und Stacheldraht eingesperrt werde, wenn ich meine Freunde, meine Familie im anderen Teil nicht mehr sehen kann. Das kennen wir alle, dass natürlich Freunde, Familie über die Stadt verteilt wohnen oder Kollegen, Partner, was auch immer. Also all diese persönlichen Verbindungen wurden von einem Tag auf den anderen auseinander gerissen und die Mauer trennte dann 28 Jahre lang die Menschen in Berlin, die Menschen in Deutschland. Und da gibt’s,  da haben wir auch hier in unserer Ausstellung Fotos, die natürlich diese herzzerreißenden Szenen dokumentieren, wie sich anfangs in Berlin, als man sich wirklich nur anfangs der Mauer auch noch nähern konnte, Kinder hochgehalten werden, die Familien sich hin und her winken, viele Menschen weinen. Und was dann natürlich besonders für Berlin auch schlimm war, dass die West-Berliner für zwei Jahre gar nicht mehr nach Ost-Berlin einreisen durften nach dem Bau der Berliner Mauer. Es gab dann bestimmte Grenzübergangstellen und erst im Zuge des Passierscheinabkommens im Jahr 1963, also wirklich erst zwei Jahre nach dem Mauerbau, durften West-Berliner in einem bestimmten Zeitraum herüberfahren und die Ost-Berliner Familie wiedersehen und treffen oder eben Freunde wiedersehen. Und erst dann im Zuge der Neuen Ost- und Deutschlandpolitik waren dann auch für West-Berliner die Besuche wieder regelmäßiger möglich.

    Rosenplänter: Aber ich stelle mir das auch gerade für die West-Berliner komisch vor oder auch schlimm vor eben, weil die waren ja tatsächlich eingemauert. Das war ja wie so eine kleine Insel in der DDR.

    Grajetzki: Ja, das ist interessant, wenn man West-Berliner fragt, die sagen auch immer, ja, wir waren eingemauert oder fühlten uns oft gar nicht eingemauert, denn sie konnten sich ja frei bewegen, konnten West-Berlin auch verlassen. Aber klar, Berlin lag als Insel mitten in der DDR und war umgeben von der DDR. Und das kann man sich auch ganz gut vorstellen, wenn man bedenkt, wenn man von Westdeutschland nach West-Berlin wollte, konnte man ja nicht einfach herüberfahren, sondern es gab dann eben die Grenzübergangstellen. Das heißt, ich fuhr bis zur innerdeutschen Grenze und dann auf bestimmten Wegen, den sogenannten Transitstrecken, durfte ich ja überhaupt nur nach West-Berlin hineinfahren. Ich durfte ja nicht einfach kreuz und quer durch die DDR hindurch fahren, kam dann wieder an einen Grenzübergang und durfte dann nach West-Berlin hineinfahren. Und hätte ich dann nach Ost-Berlin fahren wollen, dann wäre es wieder ein weiterer Grenzübergang gewesen, wie zum Beispiel eben am Bahnhof Friedrichstraße, wo wir heute auch unsere Ausstellung haben, Ort der Deutschen Teilung, wo wir genau auf diese auch gerade persönlichen Geschichten eingehen. Und Berlin war insofern auch immer speziell, gerade West-Berlin, weil da der Vier-Mächte-Status von Berlin galt. Das heißt, für die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, also Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich hatten die Rechte und die Verantwortlichkeit für Deutschland als Ganzes und für Berlin. Das heißt, Berlin war immer ein Sonderfall. West-Berlin war kein konstitutiver Teil der Bundesrepublik. Es galt dort das Grundgesetz. Die West-Berliner hatten aber zum Beispiel keinen bundesdeutschen Pass, sondern einen behelfsmäßigen Personalausweis. Sie mussten nicht zur Bundeswehr, denn die Bundeswehr durfte in Berlin nicht aktiv werden. Deswegen sind ganz viele junge Männer, die in Westdeutschland nicht zum Bund gehen wollten, nicht zur Bundeswehr, sind dann nach West-Berlin gegangen, haben vielleicht dort eine Ausbildung oder ein Studium begonnen. Und so gab es schon zahlreiche Sonderregelungen für die West-Berliner und das macht aber auch die Stimmung in West-Berlin zu dieser Zeit aus.

    Rosenplänter: Wie wurde die Mauer eigentlich und der Bau der Mauer vom SED-Regime legitimiert?

    Grajetzki: Ja, das Schlimme ist ja, wir haben eben über die Todeszahlen gesprochen, dass während viele Menschen an der innerdeutschen Grenze und an der Berliner Mauer starben oder durch Republikflucht inhaftiert wurden, dass gleichzeitig die Regierung der DDR die Mauer als einen antifaschistischen Schutzwall propagierte. Also sie preist die Mauer als eine friedenssichernde Maßnahme, als einen Schutz für die eigene Bevölkerung vor der Bedrohung aus dem Westen, vor dem faschistischen Westen oder dem imperialistischen Westen.
    Aber es ist natürlich vollkommen klar, die Mauer, die Grenze richtet sich gegen die eigene Bevölkerung. Wenn man sich allein diese martialische Grenzanlage anschaut mit Minen, mit Stacheldraht, mit Elektrozäunen, Wachtürmen, Patrouillenwegen, an der innerdeutschen Grenze noch die Selbstschussanlagen. Also alles, was unglaublich viel Furcht einflößt, das kann nicht sein, dass es ein Schutz nach außen sein soll, sondern es ist ein Hindernis nach innen, damit niemand mehr aus der DDR flüchten kann. Wir hatten eben ja über die Fluchtzahlen gesprochen, circa drei Millionen verlassen zum Mauerbau 1961 die DDR und darunter sind sehr viele Fachkräfte, viele gut ausgebildete Menschen. Und für die Regierung der DDR war jetzt natürlich das Problem, dass das eigene Staatsvolk wegrannte. Und diese Massenflucht, die sollte der Mauerbau verhindern, dass keiner mehr schafft, eben die DDR zu verlassen und so sollte eben die DDR stabilisiert werden. Und diese Abriegelung West-Berlins, also dieses letzte Schlupfloch, die Schließung dieses letzten Schlupflochs, diese Abriegelung stimmt das SED-Regime mit der Sowjetunion ab, sodass da auch jetzt niemand mehr die DDR verlassen kann.

    Rosenplänter: Und dann hat die Mauer 28 Jahre lang gestanden, bis sie dann 1989 gefallen ist, über diese Zeit haben wir ja im letzten Museumspodcast auch schon gesprochen. Jetzt sind noch mal 30 Jahre vergangen. Merkt man denn heute noch was von dieser früheren Trennlinie?

    Grajetzki: Ja, also wenn wir uns einmal kurz die innerdeutsche Grenze anschauen, dann gibt es viele Bemühungen, dieses grüne Band, wie es jetzt genannt wird, zu erhalten durch Naturschutzgebiete. An manchen Stellen ist die innerdeutsche Grenze zugewachsen, aber es gibt viele Erinnerungsstätten, Museen und eben ja, es wird zum Teil touristisch genutzt, um aber auch weiterhin auf diese innerdeutsche Grenze hinzuweisen und daran zu erinnern. Und in Berlin ist die Mauer zum großen Teil aus dem Stadtbild verschwunden. Also es gibt einige markante Stellen, wo wir die baulichen Überreste noch finden, ganz bekannt natürlich an der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Da befindet sich noch ein Mauerabschnitt mit Grenzstreifen und Wachturm, dort trennte die Mauer Ost- und West-Berlin zwischen Mitte, was Ost-Berlin war, und Wedding, was West-Berlin war. Dann ein sehr langes, gut erhaltenes Mauerstück befindet sich in Friedrichshain, die sogenannte East Side Gallery, die auch schon viele Touristen jetzt natürlich kennen, die ist von einer Seite bunt bemalt, das durften Künstler 1990 im Zuge des Mauerfalls und der Wiedervereinigung. In der Nähe des Potsdamer Platzes gibt es auch noch ein Originalstück der Mauer in der Niederkirchener Straße an der Grenze Mitte Kreuzberg, also Mitte eben Ost-Berlin, Kreuzberg West-Berlin. Und aber was man machen sollte, wenn man in Berlin ist, schön auf den Boden schauen, denn da ist der Verlauf der innerdeutschen Mauer auf der Straße markiert mit Pflastersteinen in doppelter Reihe. Und ich kenne das von mir selber, ich habe auch lange in Berlin gelebt und obwohl ich jetzt die Zeit der deutschen Teilung nicht bewusst erfahren erlebt habe, habe es mir schon immer wieder bewusst gemacht, gerade wenn man so mit dem Fahrrad am Tiergarten entlang gefahren ist, schon so mit Blick auf das Brandenburger Tor und dann vor dem Brandenburger Tor verlief ja genau die Mauer und da verlaufen jetzt diese Pflastersteine in doppelter Reihe. Da habe ich schon oft dran gedacht, wenn ich darüber gefahren bin, dass hier die Mauer stand, gerade natürlich, wenn man sich mit der Geschichte viel beschäftigt und diese Bilder im Kopf hat. Und wie muss es dann erst für alle Berliner sein, wenn sie heute diese Markierung sehen, die viele natürlich auch ganz wichtig finden. Wie muss es für all die Menschen sein im In- und Ausland, die den Kalten Krieg und die Zeit der Teilung erlebt haben und jetzt auch eben erfahren, wie sie jetzt frei sich hin und her bewegen können. Interessanterweise ist es aber auch so, dass viele Touristen nachfragen, warum gibt es denn nicht noch mehr Überreste, warum nur jetzt an diesen bestimmten Stellen und sollte man nicht an manchen Stellen die Mauer wieder errichten. Einfach nur als Beispiel, dass einem bewusst wird, dass allen die Geschichte bewusst wird und da ist es aber so, dass natürlich die Stimmung 1989, -90 natürlich eine ganz andere war. Es herrschte Aufbruchsstimmung, Euphorie, die Mauer sollte aus dem Stadtbild verschwinden, weil sie einfach für Leid steht, für die ganzen Familien, die dadurch getrennt wurden, für die vielen Toten, die darin gestorben sind. Und natürlich deswegen die Bemühung groß war, 1989, -90, die Stadt sollte zusammenwachsen und man wollte die Mauer eben deswegen schnell beseitigen.

    Rosenplänter: Katrin Grajetzki hat uns erzählt, warum eine Rolle Stacheldraht im Haus der Geschichte für den Bau der Mauer steht. Danke Ihnen dafür.

    Grajetzki: Vielen Dank.

    Rosenplänter: So und das war es schon wieder, für dieses Mal. In der nächsten Zeitgeschichte stelle ich euch Eva vor. Eva ist eine sehr freundliche Zeitgenossin, die im Haus der Geschichte durchs Museum durchrollt. Sie ist nämlich ein Service-Roboter. Macht's gut.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dr. Katrin Grajetzki, wissenschaftliche Mitarbeiterin