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Heutzutage ist es im Tränenpalast ganz einfach, durch eine der Kontrollkabinen durchzugehen: reingehen, durchgehen, rausgehen. Zu Zeiten der DDR ist das nicht so. Da wird streng kontrolliert, wer überhaupt in die Nähe dieser Kabinen kommen darf. Und raus kommt man auch nur auf Erlaubnis der Kontrolleure.Rosenplänter: Hallo und herzlich willkommen, diesmal wieder aus dem Tränenpalast in Berlin. Meike Rosenplänter ist mein Name. In der letzten Zeitgeschichte haben wir uns ja vor allem mit dem Gebäude beschäftigt, warum das so ein schiefes Dach hat, warum es so gläsern ist und so weiter. Diesmal gehen wir in die ehemalige Ausreisehalle der Grenzübergangsstelle am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Und schon wenn ihr oben zur Tür reinkommt und die ganze Ausstellung überschauen könnt, dann seht ihr relativ weit hinten so eine holzfarbene Wand. Diese Wand, die hat Türen und durch die könnt ihr auch durchgehen und ihr dürft es vor allem auch. Heutzutage ist das ganz einfach, früher war das nicht so einfach. Das sind nämlich die Originalkabinen, durch die die Menschen durchmussten, die ausreisen wollten. Und warum das ganz anders war als das, was wir heute so als Passkontrolle kennen, das erklärt uns Gundula Dicke. Sie ist Bildungsreferentin der Stiftung in Berlin und damit auch für den Tränenpalast zuständig. Hallo Frau Dicke.
Dicke: Hallo.
Rosenplänter: Wie liefen denn diese Kontrollen ab, wenn sie so anders waren als das, was wir heute gewöhnt sind?
Dicke: Ja, da kann man ja direkt anfangen damit, dass wir ja eigentlich als Europäer, außer wir fliegen richtig weit weg, gar keine Passkontrollen mehr gewöhnt sind. Und die Passkontrolle damals zwischen Ost- und West-Berlin, also im geteilten Deutschland, war natürlich insofern auch eine besondere, weil es einfach nicht darum ging zu gucken, wer kommt ins Land rein und wer darf rein, sondern die DDR oder die Grenzer der DDR hatten zu gucken, wer möchte raus und wer darf überhaupt raus und wer darf nicht raus.
Rosenplänter: Das heißt, der Tränenpalast war als Ausreisestation, nicht als Einreisestation.
Dicke: Ganz genau. Der Tränenpalast ist die Ausreisehalle am Bahnhof Friedrichstraße, also am Grenzübergang Friedrichstraße gewesen. Alle Menschen, die dort rein wollten, in das Gebäude überhaupt rein wollten, wollten ausreisen aus der DDR, aus Ost-Berlin und sind dann eben mit der S-Bahn rüber nach West-Berlin gefahren oder mit dem Zug nach Westdeutschland. Und bevor man also zur Passkontrolle kam, musste man schon vor dem Tränenpalast oder am Eingang des Tränenpalastes die erste Vorkontrolle über sich ergehen lassen, wo also schon mal kontrolliert wurde, habe ich überhaupt die Papiere, die ich brauche, um auszureisen und darf ich überhaupt grundsätzlich ausreisen? Also viele Ostdeutsche, die meisten Ostdeutschen durften eben ja nicht einfach so ausreisen, sondern entweder nur, wenn sie ein Visum zum Beispiel für einen Besuch in Westdeutschland hatten oder wenn sie zum Reisekader gehörten oder wenn sie ostdeutsche Rentner waren. Aber alle anderen durften ja nicht einfach so ausreisen. Das heißt, die kamen gar nicht erst ins Gebäude rein.
Rosenplänter: Das heißt, auch Leute, die Ausreisende verabschiedet haben, die durften da auch nicht mit rein?
Dicke: Nee, in den Tränenpalast selbst, also in die Ausreisehalle durften nur Menschen, die wirklich ausreisen wollten und durften, die Abschiede mussten schon vor dem Tränenpalast stattfinden. Das heißt, die Abschiedstränen sind eigentlich auch vor dem Haus schon, vor dem Vorbau geflossen.
Rosenplänter: Wenn man dann jetzt rein durfte, wenn man die Erlaubnis hatte, dass man das Gebäude betreten durfte, wie war das dann?
Dicke: Dann bin ich die große Treppe hinuntergegangen, die man auch heute noch runtergeht, wenn man den Tränenpalast besucht. Also das ist noch die Originaltreppe und kam dann zunächst einmal zur Zollkontrolle. Also da rede ich jetzt von den 80er Jahren. Da war das so, dass man zuerst zur Zollkontrolle kam. Die Zöllner haben das Gepäck kontrolliert, vor allem daraufhin, ob man irgendwas dabei haben könnte, was man nicht mit rausnehmen darf aus der DDR. Und im Anschluss daran kam ich dann zur Passkontrolle und eben musste dann erstmal Schlange stehen, bis ich dran war, an der Reihe war, um in eine Passkontrollkabine zu gehen, in eine solche Kabine, von der wir jetzt gerade reden.
Rosenplänter: Das heißt, die Vorkontrollen vom Personalausweis, die waren überhaupt nicht in dieser Kontrollkabine, sondern die waren davor und dann erst wurde man in diese Kabine reingebeten?
Dicke: Genau, also die Vorkontrolle oben sozusagen vor dem Haupteingang, das war schon der erste Punkt. Dann die Zollkontrolle, die war auf Tischen vor diesem Kabinenriegel. Das wurde auch eben durch die Zollmitarbeiter durchgeführt und in der Passkontrolleinheit selber waren dann Passkontrolleure beschäftigt, die Uniformen der Grenztruppen trugen und die aber eigentlich als hauptamtliche Mitarbeiter beim Ministerium für Stadtsicherheit angestellt waren. Und die waren dann dafür zuständig, die Pässe zu kontrollieren. Daraufhin, ist es überhaupt der richtige Pass? Gehört die Person zu dem Pass? Darf die Person ausreisen? Hat sie ein gültiges Ausreisevisum? Und so weiter. Also da war dann nochmal eine strengere Kontrolle da, die eben auch staatlich dadurch besonders kontrolliert wurde, dass eben diese Mitarbeiter vom Ministerium für Stadtsicherheit waren, die im Zweifel auch direkt Zugriff hatten auf Daten über die Menschen, die dort ausreisen wollten. Also die kontrollieren konnten, handelte sich um die richtige Person, ist diese Person auf irgendeiner Liste, dass sie nicht ausreisen darf und ähnliches. Also es konnte passieren, dass die Passkontrolleure auch mit dem Pass weggegangen sind. Ich stand in der Passkontrollkabine und konnte selbst auch nicht rein oder raus, weil keine Türklinken da waren und musste also warten, bis jemand nach einer bestimmten Zeit oder auch längerer Zeit wieder kam und mir gesagt hat, darf ich nun raus oder nicht?
Rosenplänter: Kabine, das klingt irgendwie so ein bisschen beengt, klein. Ist das so? Wie sehen diese Kabinen aus?
Dicke: Ja, das ist ein Begriff, der in der Tat dazu ganz gut passt. Also es sind ja wirklich Kabinen oder kleine Häuschen in dem Sinne aus dem Material, das sich Sprelakat nennt. Das ist so ein brauner Holzwerkstoff, laminatartig, der sehr typisch für die DDR war. Und in diesem Sprelakat sind diese Passkontrollkabinen erstellt worden. Auf der linken Seite gab es einen kleinen Teil, in dem die Passkontrolleure saßen, hinter einer Glasscheibe erhöht für die Reisenden. Das heißt, sie haben leicht von oben auf einen hinunter geschaut. Und sie hatten dort ein Telefon und sie hatten auch einen Summer dort, den sie bedienen konnten, um dann die Reisenden durchzulassen oder auch nicht, also die Tür zu öffnen. Und der Durchgang für die Reisenden war wirklich sehr eng. Man muss sich das so vorstellen, anderthalb Meter lang, vielleicht zwei Meter lang und 50 Zentimeter circa breit, also ein recht enger Gang. Ich guckte also leicht hoch zu den Passkontrolleuren, zu dem Tresen. Hinter mir oben war ein Spiegel angebracht, sodass die Kontrolleure auch immer mich von hinten sehen konnten, ob ich dort irgendwas verstecke hinter dem Rücken oder was auch immer. Und eben diese Kabine selber hatte keine Türklinken. Also ich war dann wirklich, wenn beide Türen zu waren, die vom Eingang und die vom Ausgang, war ich dort erst mal drin und darauf angewiesen, dass die Passkontrolleure mich durchlassen. Das erzeugte ein Gefühl auch der Enge und der Beklemmung bei vielen Reisenden.
Rosenplänter: Genau, wenn ich mir das so vorstelle, in so einem engen Raum zu stehen vor jemandem, der auch erhöht ist und auf mich herabschaut und mich von allen Seiten betrachten muss, das muss doch gruselig gewesen sein da drin, oder?
Dicke: Ja, also wenn wir heute Besucherinnen und Besucher da haben, die auch dort wieder reingehen und sich erinnern, wie sie selber in den 80er Jahren gereist sind, meistens in den 80er Jahren, da sind zum Beispiel sehr viele Westdeutsche, die auf Klassenfahrt zu Besuch in Ostberlin waren und hinterher dort ausgereist sind, also wir haben sehr viele Besucher, die sich noch erinnern, dann stehen die in dieser Kabine und sagen, jetzt auf einmal erinnere ich mich wieder genau an die Situation von damals. Und das wird, glaube ich, sehr stark ausgelöst durch diese räumliche Enge und durch diesen Raum, der einen so eng umgibt, dass das einfach noch mal eine physische Form von Erfahrung ist, die sich wiederholt. Und viele beschreiben das auch wirklich als ein Gefühl der Beklemmung, weil sie sich einfach diesen Machtgefälle ausgeliefert fühlten. Und letztendlich auch gerade für Westdeutsche es so war, dass sie ja hier im Tränenpalast dann erstmals und auch am nächsten mit der Staatsmacht der DDR konfrontiert waren. Also hier waren sie der Staatsmacht sozusagen ausgeliefert, auch wenn sie sicher sein konnten, dass sie irgendwann rauskommen, war das eben das Gefühl, ich kann jetzt gerade nicht selber bestimmen, ob ich weitergehe oder nicht. Und ansonsten, wenn sie in Ostberlin unterwegs waren oder in der DDR und Freunde besucht haben oder einfach nur eine touristische Reise gemacht haben, haben sie ja gar nicht so viel mit der Staatsmacht, also mit wirklich Menschen in Uniform zu tun gehabt. Das heißt, das kam noch mal als Stresslevel für viele Westdeutsche hinzu und für viele Ostdeutsche, die eben ja gar nicht sicher waren, ob sie jetzt wirklich ausreisen dürfen, obwohl sie ein Visum hatten oder die dauerhaft ausreisten, war das natürlich noch mal ganz anders ein entscheidender Moment, ob man hier raus darf oder nicht.
Rosenplänter: Bei uns im Museum steht heute noch eine Kabine. War das früher auch so? Stand da auch nur eine Kabine?
Dicke: Nee, da stand ein ganzer Riegel voll Kabinen. Man muss sich das so vorstellen, dass die alle direkt aneinander anschlossen, nebeneinander und sozusagen den kompletten Raum durchteilten. Das heißt, ich kam nur, indem ich durch eine solche Kabine durchging, überhaupt weiter in den Bahnhof auf die Gleise für die Ausreise. Und das heißt also, wenn die Tür nicht aufging für mich, dann kam ich auch nicht weiter. Wir haben das heute so. Wir haben eben nur noch diese eine Passkontrollkabine übrig vom Bahnhof Friedrichstraße. Und wir haben den Rest der Kabinen, diesen Riegel, angedeutet durch Sprelakatwände, die so eine Art Anmutung des Raumes wiederherstellen sollen, damit man sich überhaupt vorstellen kann, wie dieser Raum damals durchteilt war.
Rosenplänter: Aber das ist schon noch eine Originalkabine.
Dicke: Die ist original vom Bahnhof Friedrichstraße. Wir können nicht ganz sicher sagen, ob sie am Bahnhof selbst, also im Bahnhof für die Einreise oder im Tränenpalast für die Ausreise genutzt wurde. Aber sie ist vom Bahnhof Friedrichstraße und hat lange im Haus der Geschichte in Bonn gestanden und ist dann mit der Öffnung des Tränenpalastes als Museum und Ort der Erinnerung wieder in den Tränenpalast zurückgekehrt.
Rosenplänter: Wie war das eigentlich, wenn man dann durch diese Kabine durch war? War man dann direkt im Westen?
Dicke: Nee, der ganze Bahnhof Friedrichstraße liegt ja in Ostberlin. Das heißt also, wenn ich jetzt durch die Kabine durch war, musste ich durch einen Gang, der kein Tageslicht hatte, hinüber in den Bahnhof. Und dann durch noch ein Gewirr von Gängen rüber auf das passende Gleis, um die S-Bahn oder den Regionalzug oder die U-Bahn nach West-Berlin zu bekommen oder eben den Fernzug in die Bundesrepublik. Und erst in dem Moment, wo diese Züge losgefahren waren und dann ungefähr auf Höhe des heutigen Hauptbahnhofs, also des damaligen Lehrter Bahnhofs, der nicht mehr in Betrieb war. Dort war dann ja die Grenze, also erst über der Spree hinweg. Das heißt also, erst wenn ich im Zug saß und sicher war, dass er ankam, letztendlich dann am Bahnhof Zoo, dann konnte ich auch sicher sein, dass ich angekommen war.
Rosenplänter: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gab es im Grunde verschiedene Menschentypen, die im Tränenpalast kontrolliert haben. Ganz normale Zöllner, aber eben auch Mitarbeiter der Staatssicherheit, auch Polizisten.
Dicke: Ja, insgesamt war die Präsenz der Staatsorgane sehr hoch am Bahnhof Friedrichstraße.
Es gab eben diese Zollkontrolleure, es gab Passkontrolleure und es gab Grenztruppen, die auch bewaffnet auf den Bahnsteigen patrouillierten und auch oben oberhalb der Bahnsteige auf einem kleinen Gang patrouillierten. Die auch Spürhunde hatten, um nochmal Züge abzusuchen auf Menschen, die sich möglicherweise in den Zügen oder unter den Zügen versteckt haben, um zu fliehen. Also die Präsenz von Staatsorganen am Bahnhof Friedrichstraße war wirklich sehr groß, um eben Fluchten zu verhindern.Rosenplänter: Aber war das denn nötig? Was waren das denn für Menschen, die da ausgereist sind? Musste man denen gegenüber eine solche Staatsgewalt zeigen?
Dicke: Natürlich gab es auch viele, sagen wir mal, für die, wenn ich jetzt westdeutsche Reisende nehme oder auch West-Berliner, für die das ja klar war, dass sie auch wieder zurück in den Westen wollten. Wenn ich jetzt die ostdeutschen Reisenden nehme, dann gab es sicherlich Reisekader der DDR, von denen die DDR ja vorher ideologisch so überzeugt war, dass sie sie halt auch reisen lassen. Wenn Menschen beispielsweise in den 80ern dann zu Familienbesuchen nach Westdeutschland gefahren sind, dann war es meistens so, dass nur eine Person ein Visum bekommen hat und sozusagen als Pfand der Rest der Familie zurückbleiben musste oder sollte in der DDR, damit auch sichergestellt wird, dass eine Mutter, ein Vater auch zurückkommt zu ihren Kindern. Und von daher ist es natürlich so, dass verschiedene Mittel ergriffen wurden, damit Menschen nicht aus der DDR fliehen. Aber wir haben schon auch Fluchtversuche am Bahnhof Friedrichstraße dokumentiert. Also es haben Leute versucht zu fliehen und auch einige erfolgreich.
Rosenplänter: Was waren das denn für Menschen? Also Reisegruppen hatten sie gesagt, Familien, die Verwandte im Westen besuchen, Rentner hatte ich rausgehört.
Dicke: Ja, also man kann unterscheiden zwischen den West-Berlinern, die beispielsweise fast täglich oder sehr routiniert auch nach Ostberlin gefahren sind, um Freunde zu besuchen, etwas einzukaufen im Intershop oder ähnliches und wieder zurückgefahren sind. Dann haben wir Westdeutsche, die Besuchsreisen gemacht haben und wieder zurückgefahren sind oder auch Tagesbesuche, eben von einer Klassenfahrt in West-Berlin einen Tag nach Ostberlin auch gefahren sind. Und dann habe ich auf der ostdeutschen Seite eben ja Rentnerinnen und Rentner, Reisekader und dann auch Menschen, die einen Antrag auf eine dauerhafte Ausreise aus der DDR gestellt hatten und den meistens nach jahrelangem Warten genehmigt bekommen haben.
Rosenplänter: Intershop haben sie gerade gesagt. Was war das?
Dicke: Intershop, das sind Geschäfte gewesen, meistens an den Bahnsteigen oder Grenzübergang kleine Kioske, auf den Bahnsteigen direkt, wo man für Westgeld westliche Ware kaufen konnte. Das sind Shops, Kioske gewesen, die die DDR dafür genutzt hat, um Devisen einzunehmen, also Westgeld letztendlich einzunehmen. Und es gibt viele West-Berliner, die das genutzt haben, mit der S-Bahn beispielsweise in die Bahnhof Friedrichstraße zu fahren, Zigaretten, Alkohol zu kaufen oder auch Theaterkarten und dann wieder zurück nach West-Berlin gefahren sind.
Rosenplänter: Wenn jetzt tatsächlich Ostdeutsche ausreisen durften, für immer, was haben die dann mitgenommen? Was wurde so durch den Tränenpalast transportiert?
Dicke: Ja, da das ja ein Grenzübergang ist, über den man dann nur mit dem Zug weiterreisen konnte, kann man sich vorstellen, dass das sich aufs Handgepäck beschränken musste. Also ein, zwei Koffer vielleicht, die die Reisenden mitgenommen haben, in denen sie sicherlich vor allem Dinge transportiert haben, die ihnen lieb und teuer sind. Also das Wichtigste, was ich eben bei mir haben möchte, was ich auf keinen Fall aus der Hand gebe, häufig Familienfotos und ähnliche Erinnerungen. Während beispielsweise Umzugsgut natürlich dann nicht mit der Hand mit transportiert werden konnte, das konnten sie zum Teil nachholen. Und deswegen waren ja viele Familien, die Ausreiseanträge gestellt hatten, auch schon über Jahre mit gepackten Kisten vorbereitet darauf, dass sie dann sehr, sehr schnell ausreisen müssen. Es gibt auch Menschen, die bei dieser dauerhaften Ausreise noch versucht haben, Dinge mit rauszuschmuggeln, also die noch sozusagen diesen Punkt genutzt haben, obwohl sie so lange darauf gewartet haben, dieses Risiko einzugehen, noch etwas zu schmuggeln, was man eigentlich eben nicht mit rausnehmen durfte. Und als Beispiel haben wir im Trennpalast die Geschichte von Familie Klaus oder Ehepaar Klaus, die Dias geschmuggelt haben. Also die haben in einer ihrer Taschen dann Dias mit Umweltverschmutzung, also Fotos von Umweltverschmutzung aus der DDR transportiert und die Grenzer letztendlich dann dadurch abgelenkt, dass der Ehemann gespielt hat, er sei betrunken, also besonders unangenehm aufgefallen ist und sich erhofft hatte, dass er dadurch besonders schnell durch die Kontrollen kommt, also das Gepäck nicht so genau durchsucht wird und sozusagen alle froh sind, wenn sie durchgehen und eben keinen großen Aufstand machen. Letztendlich ist dieser Plan aufgegangen und so konnte das Ehepaar Klaus auch diese Dias erfolgreich mitnehmen in den Westen.
Rosenplänter: Was war denn verboten mitzunehmen? Was wurde denn geschmuggelt außer solchen Dias?
Dicke: Da muss man ganz stark unterscheiden zwischen der Einreise, also was Menschen versucht haben reinzuschmuggeln in die DDR und was Menschen versucht haben rauszuschmuggeln. Verboten mit rauszunehmen waren natürlich solche Dinge, wie ich sie eben beschrieben habe, also Dinge, die dokumentierten was niemand außerhalb der DDR wissen sollte, beispielsweise Umweltverschmutzung oder Informationen für die Opposition und ähnliches, aber beispielsweise auch handwerkliche, hochwertige Güter aus der DDR, die für den Export vorgesehen waren. Meissner Porzellan, Handwerkskunst aus dem Erzgebirge, das sind Dinge, die man auch nicht einfach so mit rausnehmen sollte, weil dafür ja Devisen eingenommen werden sollten. Also die sollten eben teurer exportiert werden. Was man auf keinen Fall mit rausnehmen durfte, waren Dokumente, persönliche Dokumente, also beispielsweise Abschusszeugnisse aus der Schule und ähnliches. Und wer versuchte, so etwas zu schmuggeln, der machte sich der Republikflucht verdächtig. Also das waren dann Fälle, wo Menschen auch wirklich für ins Gefängnis kamen, dass sie so etwas geschmuggelt haben, einfach weil das ein Straftatbestand war und sie damit sich verdächtig machten, auf Dauer fliehen zu wollen oder die Flucht für jemand anderen vorzubereiten. Beim Reinschmuggeln sah es anders aus. Da ging es eher darum, dass beispielsweise Zeitschriften, sogenannte Periodika aus Westdeutschland, nicht in die DDR reinkommen sollten. Dazu zählten politische Magazine wie der Spiegel, aber auch Zeitschriften wie Schöner Wohnen. Also es war ein ganz weites Spektrum von Dingen, die eben beispielsweise nicht rein durften in die DDR.
Rosenplänter: Sie haben eben gesagt, der Tränenpalast ist ein Ort der Erinnerung. Sie führen ja auch Menschen durch das Museum. Wie ist das, wenn Sie mit so einer Besuchergruppe jetzt vor diesen Kabinen stehen? Sind da Menschen dabei, die sich erinnern daran, wie Sie zu Zeiten des Tränenpalastes an dieser Stelle schon mal gestanden haben?
Dicke: Ja, das passiert uns sehr häufig nach wie vor, nach all den Jahren, die wir jetzt als Erinnerungsort geöffnet haben. Dass wir erwachsene Besucherinnen und Besucher aus Deutschland, aber auch aus dem Ausland da haben, die dann auch in dem Moment, wo sie davor stehen oder drinnen sind, auf einmal sagen, ja, ich kann mich genau erinnern an diesen Moment, wie ich selber hier gestanden habe. Oder die sich freuen, dass sie heute um diese Passkontrollkabine drum herum gehen können oder einfach durchgehen können, ohne dass sie aufgehalten werden. Also die das als einen sehr besonderen, symbolischen Akt empfinden, dass eben heute kein Riegel mehr da ist, der den Weg versperrt und auch kein Riegel mehr zwischen Ost- und West-Berlin ist. Und das ist auch immer noch das, was diesen Ort so besonders macht, dass so viele Menschen heute sich noch daran erinnern und auch diese Erinnerung teilen mit anderen Menschen.
Rosenplänter: Jetzt sind aber ja ganz, ganz viel mehr Besucher im Museum als die, die eine Führung machen. Gibt es von denen auch Feedback?
Dicke: Ja, sehr viele Besucherinnen und Besucher nutzen unser Gästebuch am Ende der Ausstellung, um dort wirklich teilweise bis zu einer A4-Seite lang ihre persönlichen Erinnerungen an diesen Ort hineinzuschreiben. Und das habe ich bisher in keiner anderen Ausstellung so erlebt, dass es so persönlich und intensiv ist, was dort hineingeschrieben wird in das Gästebuch. Das sind Erinnerungen von Schikanen bei einer Zollkontrolle oder von sehr traurigen Abschieden von Freunden aus Ost-Berlin, wo dann beispielsweise schwedische Besucher schreiben: ja, ich wusste ja, ich kann hier jederzeit wieder raus, während meine Freunde mich nie besuchen kommen können und solche Dinge. Also sehr emotional und teilweise auch schon Erinnerungen, die sehr lange her sind, aber die eben jetzt an diesem Ort einen Ort finden, wo sie auch bleiben können und auch wieder anderen Besucherinnen und Besuchern zugänglich gemacht werden.
Rosenplänter: Warum die Kontrollkabinen im Tränenpalast noch heute für unsere Besucher besonders sind, das hat uns die Bildungsreferentin Gundula Dicke erklärt. Danke Ihnen dafür.
Dicke: Sehr gerne.
Rosenplänter: Das nächste Mal geht es um absolute Alltagskunst, nämlich um eine Geschirrserie im Speziellen und um Alltagsdesign in der DDR im Allgemeinen. Es würde uns sehr freuen, wenn ihr dann wieder dabei wäret. Wenn ihr den Podcast abonniert habt, dann wird euch die nächste Folge ja auch direkt angezeigt. Ansonsten, wenn es euch Spaß gemacht hat, mit uns durch die Ausstellung im Tränenpalast zu wandeln, dann erzählt doch gerne Freunden und Familie von den Zeitgeschichten. Bleibt gesund. Bis zum nächsten Mal.
Meike Rosenplänter, Moderation
Gundula Dicke, Bildungsreferentin
1980 - Rundumkontrolle