1949 - Das Grundgesetz
  • Es ist ein Notbehelf, der uns bis heute begleitet - das Grundgesetz. Es wurde am 23. Mai 1949 in Bonn unterzeichnet. Doch warum gibt es in Deutschland keine Verfassung und wer hat das Grundgesetz ausgearbeitet?

    Rosenplänter: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Zeitgeschichten, der Museumspodcast. Wir sprechen heute über einen Notbehelf aus den Nachkriegsjahren, der uns aber bis heute begleitet, nämlich über das Grundgesetz. Das wurde ja am 23.Mai 1949 unterzeichnet vom Parlamentarischen Rat und das nicht etwa in einem hoheitlichen Saal an schnieken Mahagoni-Schreibtischen, sondern an total simplen Tischen, die aussehen, als könnten sie bei euch oder bei mir in der Küche stehen. Die könnt ihr auch in der Ausstellung anschauen, wenn ihr durch den Rosinenbomber durchkommt, da stehen die direkt vor euch. Aber nicht zu viel erwarten, es sind wirklich ganz simple, einfache Tische. Was aber doch besonders ist, das ist das Tintenfass, das auf dem Tisch stand. Das steht auch in einer Vitrine, ein riesiges Teil mit goldenen Engeln. Und dann gibt's natürlich noch eine Vitrine mit schwarz-rot-goldener Flagge und einer Kopie vom Grundgesetz. Das sieht sehr edel aus, ein großes Buch, eierschalenfarbenes Papier mit schwarzer, etwas verschnörkelter Schrift und Unterschriften. Zum Beispiel die von Konrad Adenauer und von Adolf Schönfelder, dem Vizepräsidenten des Parlamentarischen Rates. Wie das war, als diese Unterschriften getätigt wurden, das erzählt uns Dr. Dietmar Preißler. Er ist der Sammlungsdirektor der Stiftung und zuerst will ich von ihm wissen, was eigentlich dieser Parlamentarische Rat überhaupt ist. An dem kommt man ja beim Thema Grundgesetz nicht drumherum.

    Preißler: Der Parlamentarische Rat war ja das Organ, das das Grundgesetz beriet, beschloss und zum Schluss fand die Verkündigung des Grundgesetzes ja auch in Bonn statt.

    Rosenplänter: Und Adenauer kam ja auch von hier.

    Preißler: Und Adenauer kam aus der Ecke. Er wohnte in Rhöndorf und gerade das Wirken von Adenauer hatte natürlich großen Einfluss auf die Auswahl Bonns als Regierungssitz. Man muss sich ja mal vorstellen, warum ging die nach Bonn damals? Warum tagte der Parlamentarische Rat hier und nicht woanders? Eine Ursache war sicherlich, dass Bonn relativ unbeschadet aus dem Zweiten Weltkrieg herauskam. Es gab zumindest Möglichkeiten, Orte zu finden, wo dieser Parlamentarische Rat tagte. Die Eröffnungsveranstaltung war ja im Museum König und ich muss immer wieder betonen, es war wirklich nur diese Eröffnungsveranstaltung. Wenn gesagt wird, der Parlamentarische Rat hätte dort getagt, das ist nicht wahr. Denn der Parlamentarische Rat war direkt am Rhein, und zwar im Gebäude der Pädagogischen Akademie. Und das war eben ein Tagungsort, der sich anbot. Pädagogische Akademie ist etwas wie eine pädagogische Hochschule heute. Und da gab es eben entsprechende Räumlichkeiten.

    Rosenplänter: Und wo hat dann die Abschlusszeremonie stattgefunden?

    Preißler: Die Abschlusszeremonie fand eben auch in der Aula der Pädagogischen Akademie statt.

    Rosenplänter: Okay.

    Preißler: Ganz spannendes Gebäude. Es ist ja ein modernes Gebäude. Es ist in den 20er Jahren geplant worden. Es war ein Teil der preußischen Bildungspolitik, eben pädagogische Akademien auf den Weg zu bringen. Und man hatte bewusst einen Bauhausarchitekten, Martin Witte, gebeten, einen modernen Bau zu machen. Ein modernes pädagogisches Gebäude, das natürlich auch von seiner Idee her von Demokratieüberlegungen getrieben wurde, dieser Baustil. Interessant auch, weil 1933 wurde es erst eröffnet. Die Nazis mussten also ein Gebäude eröffnen, das ihnen vom architektonischen Stil einfach missfiel. Und dass der Parlamentarische Rat in einem solchen Gebäude dann später tagte, zeigt, es war ein guter Ort für die Entstehung des Grundgesetzes.

    Rosenplänter: Wie kann man sich diese Zeremonie der Unterschrift vorstellen?

    Preißler: Man hat geplant, wie es stattfinden soll. Bei aller Improvisation bei der Entstehung des Grundgesetzes wollte man einen würdigen Abschluss setzen. Und es war eben dann die Aula der pädagogischen Akademie. Es war ein Raum, wenn man reinkam, war gegenüber des Eingangs das Präsidium erhöht aufgebaut. Es hing die schwarz-rot-goldene Flagge an der Wand. Das Präsidium saß dort, Konrad Adenauer natürlich als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates, und etwa zwei, drei Meter vor ihm war ein Tisch aufgebaut, auf dem die Urschrift des Grundgesetzes lag. Die war aufgeschlagen auf der Seite, wo unterschrieben werden sollte. Daneben lag ein Set von Füllfederhaltern und ein kleiner schwarz-rot-goldener Wimpel, der eben die Farben der Bundesrepublik aufnahm. Im Grundgesetz steht ja in dem entsprechenden Artikel drin, die Farben sind schwarz-rot-gold, in Übernahme der Farben der Weimarer Republik und der Verfassungstradition. Und auf dem Tisch stand natürlich ein wunderbares Werk, und zwar das Tintenfass des Kölner Ratssilbers. Und dieses Tintenfass können Sie heute im Haus der Geschichte in der Daueraufstellung auch sehen. Nur eine kleine Anekdote, dass da noch ein kleiner Zettel lag, bitte mit Vor- und Zunamen unterschreiben, haben wir auf den entsprechenden Fotografien auch gefunden, damit die Mütter und Väter des Grundgesetzes ihren Vornamen schlicht und einfach nicht vergessen. Einer hat es dann getan, wurde nachträglich hinzugefügt. Aber zurück zu der Situation.
    Dieses Grundgesetz lag eben auf dem Tisch und es setzte dann Orgelspiel ein. Und dieses getragene Orgelspiel war unterlegt von dem Aufruf des Präsidenten Konrad Adenauer, an alle Mitglieder des Parlamentarischen Rats, ihre Unterschrift zu leisten. Als Erster natürlich Konrad Adenauer selbst als Vorsitzender des Parlamentarischen Rates. Er setzte sich also hin, nahm einen Soennecken Füllfederhalter und tat so, als tunkte er in das Kölner Ratssilber. Wir haben das Foto, das wir auch in der Daueraufstellung zeigen, analysiert und festgestellt, wenn man es groß macht, da war ja gar keine Tinte drin. Das war ein Bild, das Konrad Adenauer schaffen wollte, er wollte ein Bild für die Ewigkeit schaffen. Er als Präsident des Parlamentarischen Rates tunkt diesen Füllfederhalter in das Tintenfass, dieses Bild ging auch um die Welt. Ein Bild für die Ewigkeit zur Entstehung des Grundgesetzes.

    Rosenplänter: Wer war denn außer Adenauer noch bei dieser Zeremonie dabei?

    Preißler: Bei dieser Zeremonie nahmen zunächst einmal alle Abgeordneten des Parlamentarischen Rates teil. Das waren 65, aus den Landtagen gewählte Mitglieder, 61 Männer, vier Frauen und fünf nicht stimmberechtigte Mitglieder aus Berlin. Im Saal selber saßen dann natürlich auch noch drin die Ministerpräsidenten oder die Chefs der Länder, manche waren ja Bürgermeister, und die Präsidenten der Landtage. Eine richtige Verfassung, wenn man das Verfassungsmodell des 19.Jahrhunderts zugrunde legte, müsste ja eigentlich vom Volk legitimiert und ratifiziert werden. Bei dem Grundgesetz, wie der Name das auch schon andeutet, waren die Landtage der Ort, wo die Ratifizierung stattfand und deswegen saßen eben auch die Präsidenten der Landtage mit im Plenum.

    Rosenplänter: Waren denn auch Abgeordnete der Alliierten dabei?

    Preißler: Alliierte waren auch vertreten, das ist ganz wichtig, denn die Grundgesetzentstehung ist ja nicht das klassische Demokratiemodell einer Verfassungsentstehung, sondern das Grundgesetz war letztendlich ein Befehl der alliierten Besatzungsmächte. Man muss jetzt mal in die Zeit zurückgehen, 8. Mai 1945, das war der Tag der bedingungslosen Kapitulation. Deutschland war besiegt, und die vier alliierten Siegermächte, Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich, haben die Macht in Deutschland übernommen, die Regierungsgewalt in Deutschland übernommen. Deutschland war eben ein besiegtes Land, und die Idee war ja auch, die deutsche Frage über eine Außenministerkonferenz zu lösen. Das hat im Rahmen des Kalten Krieges ja nie geklappt, für Gesamtdeutschland, für Deutschland als Ganzes, wie es heißt, fand man keine Lösung, und nach, ja, drei, vier Jahren Besatzung überlegten gerade vor allem die westlichen Alliierten, vor allem die USA, wie gehen wir mit diesen westlichen Besatzungszonen denn weiter um? Und eine Idee war eben dann auch, wir gründen einen Staat in den westlichen Zonen. Deswegen gab es diese Londoner Sechs-Mächte-Konferenz, auf der dann USA, Großbritannien und Frankreich und die BeNeLux-Staaten Beschlüsse fassen, die Deutschland betraf, und zwar zunächst mal den westlichen Bereich. Das endete eben in den sogenannten Frankfurter Dokumenten, und in diesen Frankfurter Dokumenten stand dann eben auch drin, die Ministerpräsidenten der Länder werden aufgefordert, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, und eine Verfassung für den westlichen Teil Deutschlands zu machen.

    Rosenplänter: Aber jetzt haben wir ja ein Grundgesetz und keine Verfassung.

    Preißler: Das war der große Streitpunkt in dieser Zeit. Also diese Ministerpräsidenten waren Ansprechpartner und haben dann in Frankfurt in einer Zeremonie diese Frankfurter Dokumente überreicht bekommen. Jetzt könnte man natürlich denken, das ist doch ein klasse Auftrag an die Ministerpräsidenten, eine Verfassung für Deutschland machen zu dürfen. Nein, die Ministerpräsidenten waren sehr, sehr skeptisch. Und es gab dann eben diese Ministerpräsidentenkonferenz der Jahre 1948, zunächst in Koblenz, dann im Jagdschloss Niederwald. Und in Koblenz haben die Ministerpräsidenten sich dann geäußert in dem Sinne, dass sie sagten, nein, wir wollen keine Vollverfassung haben, denn das zementiert die beginnende Teilung Deutschlands. Wenn wir eine Verfassung haben, wie sieht es aus mit den Brüdern und Schwestern in der sowjetischen Besatzungszone? Also deswegen keine Verfassung, sondern ein Grundgesetz wurde als Alternative vorgeschlagen und deswegen auch keine verfassungsgebende Versammlung, sondern ein parlamentarischer Rat. Und da wurde zum ersten Mal eben auch der Begriff Grundgesetz verwendet.

    Rosenplänter: Jetzt wurde aber ja mit der Unterschrift des Grundgesetzes auch die Bundesrepublik Deutschland gegründet, in den drei Westzonen. Wie wurde denn darauf dann in der sowjetischen Besatzungszone, also in der späteren DDR, reagiert?

    Preißler: Die sowjetische Besatzungszone, die spätere DDR, war natürlich, glaube ich, beeinflusst von dem politischen Willen der Sowjetunion. Und die Sowjetunion wollte zunächst mal großen Einfluss auf Deutschland als Ganzes behalten. Das waren ja immer noch wirtschaftlich spannende Themen, im Westen war das Ruhrgebiet, da wollte man darauf Einfluss nehmen, um nur ein Beispiel zu nennen. Also, verblüffenderweise, die Sowjetunion hatte Interesse, hier auf ganz Deutschland Einfluss zu nehmen und war natürlich dann nicht begeistert, als diese Weststaatslösung sich im Jahre 1948 abzeichnete. Aber sie waren auch vorbereitet. Sie hatten ja auch bereits in der DDR, in der späteren DDR muss man sagen, jetzt ist ja noch sowjetische Besatzungszone, Vorbereitungen getroffen. Die SED hatte Überlegungen angestellt, es gab Verfassungsentwürfe und eine sogenannte Volkskongressbewegung wurde dann in der sowjetischen Besatzungszone parallel eine Verfassung auf den Weg gebracht. Am 7. Oktober dann beschlossen, Verfassung der DDR, aber damals auch noch mit ganz klarem Anspruch für Gesamtdeutschland Gültigkeit zu haben.

    Rosenplänter: Schauen wir uns nochmal den Text vom Grundgesetz genauer an. Gab es da irgendwelche Vorbilder, auf denen das beruhte?

    Preißler: Zunächst mal gab es eine negative Folie. Das war die Weimarer Verfassung. Die Verfassung selber war als solche nicht schlecht. Aber man wollte eben verhindern, dass dieser doppelte demokratische Bezug, der die Weimarer Verfassung prägte, zwei demokratisch legitimierte Entscheider, nämlich der Reichstag einerseits und der Reichspräsident auf der anderen Seite, das wollte man verhindern. Also die Weimarer Verfassung war sozusagen eine negative Folie. Es gab natürlich viele andere Überlegungen, ich sprach vorher schon davon, dass die Länderverfassungen vorher entstanden sind und diese Länderverfassungen gaben natürlich auch Vorbild für das Grundgesetz. Und ganz wichtig natürlich auch der sogenannte Herrenchiemseer-Verfassungsentwurf. Nachdem klar war, dass der Parlamentarische Rat in Bonn tagte, haben die Ministerpräsidenten nämlich in Herrenchiemsee einen Verfassungskonvent einberufen. Aus jedem Land kamen dann Experten, sowohl aus dem politischen Bereich als auch aus dem universitären Bereich, die sich Gedanken machten, wie kann so ein Grundgesetz, eine Verfassung, wie auch immer, aussehen. Und dieser Entwurf mit vielen Varianten, den haben die innerhalb eines Monats auf den Weg gebracht und der lag als Entwurf auch vor. Zwar haben alle Mitglieder des Parlamentarischen Rats gesagt, das ist für uns überhaupt nicht bindend, aber diese klugen Gedanken, die darin geäußert worden sind, waren wohl die wichtigste Grundlage für die Arbeit des Parlamentarischen Rats.

    Rosenplänter: Sie haben vorhin gesagt, es gab ein Dokument, das auf dem Tisch lag. Und da haben dann diese 94 Menschen unterschrieben in verschiedener Reihenfolge. Wo ist denn dieses Dokument, was auf dem Tisch lag? Ist es auch bei uns hier im Haus?

    Preißler: Das ist die spannende Frage. Wo liegt die Urschrift unseres Grundgesetzes? Das meistaufgelegte Buch nach der Bibel in Deutschland, behaupte ich jetzt mal. Aber kein Mensch weiß, dass dies im Tresor des Direktors beim Deutschen Bundestag liegt. Die Geschichte, die dahintersteht, ist ganz einfach. Der Herr, der damals sozusagen die Verwaltung des Parlamentarischen Rates leitete, Herr Drossmann, ist dann später erster Direktor beim Deutschen Bundestag geworden. Er hat wohl dann die Urschrift des Grundgesetzes nach der Unterzeichnung unter den Arm geklemmt und sie in diesen Tresor gelegt, den er wahrscheinlich dafür angeschafft hat.

    Rosenplänter: Aber es gibt doch irgendwelche Stollen, in denen ganz wichtige Dokumente auch gebracht werden. Da ist das nicht speziell gesichert?

    Preißler: Da ist eine Kopie drin. Das ist fotografiert worden auf Mikrofisch. Und in diesem Stollen, der im Badischen ist, liegen ja alle wichtigen Dokumente der Bundesrepublik eben in dieser Mikrofischform. Und ja, dass da Grundgesetz mit aufgenommen wurde, hätte man vielleicht auch schon früher machen können, der Bedeutung des Grundgesetzes entsprechend.

    Rosenplänter: Hätte man sicher, aber jetzt ist es ja da und jetzt wissen wir dank Ihnen, Herrn Preißler, auch, wo das Original liegt.

    Preißler: Ja.

    Rosenplänter: Das waren jetzt die ersten zehn Folgen Zeitgeschichten der Museumspodcast. Wir hoffen, ihr hattet Freude uns zuzuhören und eventuell plant ihr ja schon einen Besuch im Haus der Geschichte in Bonn, jetzt, wo ihr die Geschichten hinter einigen unserer Ausstellungsstücke kennt. Wir sind aktuell schon dabei, unsere Ausstellungen zu durchforsten, um euch mehr Zeitgeschichten erzählen zu können. Die kommen dann aus unseren Häusern in Leipzig und Berlin. Wenn es dann soweit ist und die neuen Folgen erscheinen, dann sagen wir euch natürlich wieder über Facebook, Twitter und Co. Bescheid und natürlich könnt ihr die neuen Folgen dann auch wie gewohnt über die Podcast-App eures Vertrauens herunterladen oder auch über unsere Homepage www.hdg.de. Wir freuen uns auf jeden Fall auf die neuen Folgen und auf euch. Bis bald!


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dr. Dietmar Preißler, Sammlungsdirektor