-
Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist keine Selbstverständlichkeit. Auch bei der Gründung der Bundesrepublik 1949 setzen sich vor allem vier Frauen dafür ein, einen entsprechenden Passus in die Verfassung mit aufzunehmen. In der DDR sind Frauen vor allem als Arbeitskräfte gleichberechtigt.Rosenplänter: Artikel 3, Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes besagt, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Das ist noch immer nicht zu 100% gelungen, es ist ein mühsamer Prozess. Aber ein Blick in die Geschichte zeigt, wir haben zumindest schon Fortschritte gemacht. Zum Beispiel ist es eine Selbstverständlichkeit, dass diese Folge Zeitgeschichte(n) – Der Museumspodcast nur von Frauen produziert wird: nämlich von mir, Meike Rosenplänter, und von Tuya Roth. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Haus der Geschichte in Bonn, und sie hat sich intensiv mit Erna Wagner-Hehmke beschäftigt. Der Frau, die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik die Männer und Frauen fotografisch begleitet hat, die das Grundgesetz ausgearbeitet haben.
Roth: Sie war selbständige Fotografin. Sie hatte seit Anfang der 30er Jahre ein eigenes Atelier in Düsseldorf. Hat aber dort nicht nur Porträts gemacht, also hat nicht nur innen gearbeitet, sondern hat damals schon auch Industrieaufnahmen gemacht, Werbefotografie gemacht, Architekturfotografie. Sie hat ganz viele Künstler fotografiert. Sie hat im Theater fotografiert, was noch mal eine eigene Herausforderung ist. Also sie war unglaublich breit aufgestellt, deswegen auch der Grund wahrscheinlich, sie zu engagieren. Und ich glaube, dieser Auftrag Parlamentarischer Rat war für sie selber eigentlich nur ein Auftrag unter vielen. Es gibt unglaublich viele Aufnahmen von ihr, sie war auch in der Schulung und in der Ausbildung von jungen Fotografinnen tätig, also sie hat ihr ganzes Leben eigentlich mit der Fotografie verbracht.
Rosenplänter: Und Erna Wagner-Hehmke hatte einen ganz eigenen, besonderen Blick auf die Menschen, die sie fotografiert hat.
Roth: Was ihre Fotografien tatsächlich ausmacht und die Art, wie sie fotografiert hat, ist die Art, wie sie sich den Menschen genähert hat. Sie fotografiert immer auf Augenhöhe und macht auch keinen Unterschied, ob sie Konrad Adenauer als Vorsitzenden vor der Linse hat oder eben die ganz einfache Angestellte in der Kopierabteilung oder den Fahrer. Sie begegnet allen auf Augenhöhe und mit der gleichen Professionalität, und ich glaube, das ist was ganz Entscheidendes, was Ihre Fotos ausmacht. Du siehst in die hinterletzte Kammer, wo vielleicht auch noch jemand saß und wo auch Frauen saßen, die die ganze Arbeit im Hintergrund gemacht haben, und die hat sie eben alle in ganz tollen Porträts auch festgehalten. Und sie hat es aber auch geschafft, diese Arbeitsatmosphäre in ihren Fotos rüberzubringen. Und sie war sich eben auch nicht zu schade, über Baustellen zu laufen. Sie ist auf Leitern gestiegen, sie ist auf Gerüste, auf Baugerüste gestiegen, einfach für die beste Perspektive, und ich glaube, das sieht man den Fotos auf jeden Fall an.
Rosenplänter: Genau deswegen haben wir Ihre Fotos vor einigen Jahren in unsere Sammlung aufgenommen. Aber sie hat nicht nur die Menschen fotografiert, die nach der NS-Zeit für den demokratischen Neuanfang standen. Sie hat auch Orte festgehalten, die auf dem Weg zum Grundgesetz wichtig waren.
Roth: Sie sollte eigentlich fotografisch dokumentieren, wie das Grundgesetz entsteht, aber gleichzeitig auch den Ort dokumentieren, an dem es entsteht. Und ein ganz anderer wichtiger Auftrag, und das konnte sie eben auch gut leisten, als Architektur- und Industriefotografin: welche Gebäude kommen in Frage, wenn Bonn Bundeshauptstadt wird? Das heißt, sie ist also auch mit diesen Erkundungstrupps, nenne ich die jetzt mal, herumgefahren und hat also sämtliche Häuser und Gebäude, Schlösser – alles, was irgendwie in Bonn und Umgebung in Frage kam als zukünftiges Ministerium - hat sie fotografiert und davon auch Fotoalben angefertigt, und damit konnte man belegen, wir haben hier die Gebäude XY, also wir können ein Innenministerium unterbringen, wir können ein Außenministerium unterbringen, wir haben Platz für die Regierung, für die Abgeordneten und so weiter.Rosenplänter: Aber auch unter den Menschen, die direkt mit der Formulierung des Grundgesetzes zu tun hatten, gab es welche, die aus der Masse hervorstachen: Die Mütter des Grundgesetzes.
Roth: Wir sind im Jahr 1948 der Parlamentarische Rat tagt in Bonn und entwirft unser Grundgesetz und es waren 61 Männer und vier Frauen. Die 4 Frauen hatten die Namen Frieda Nadig, Helene Wessel, Helene Weber und Elisabeth Selbert.
Rosenplänter: Es gibt von Erna Wagner-Hehmke ein berühmtes Bild der vier Frauen. Darauf sieht man sie nebeneinander: Friederike Nadig ganz links, daneben sitzt Elisabeth Selbert, schräg hinter ihrem Stuhl steht Helene Weber, und ganz rechts steht Helene Wessel. Sie sehen aus, als würden sie sich gerade über irgendetwas unterhalten, haben teilweise Unterlagen in den Händen. Sie alle tragen lange schwarze Kleider und hochgesteckte Haare.
Roth: Also das Erste, was uns ganz klar sein muss, ist, dass es eine inszenierte Aufnahme ist. Die Fotografin Erna Wagner-Hehmke hat die Frauen im Plenarsaal platziert, damals, wo die Verhandlungen stattfanden. Man sieht die Frauen über Papiere vertieft, die gucken nicht den Betrachter, nicht die Fotografin an, sie lächeln nicht, sondern man hat den Eindruck, dass sie ganz vertieft sind in die Papiere, die sie in der Hand halten. Und all das, also der Ort, der Saal, in dem gearbeitet wurde, diese arbeitenden Frauen, das ist ganz bewusst inszeniert und gibt uns eben den Eindruck, da sind Frauen, die machen ganz ernsthaft ihre Arbeit.
Rosenplänter: Aber so einig und vertraut, wie sie auf diesem Bild scheinen, waren die Frauen eigentlich gar nicht.
Roth: Also im Detail kann man sagen: Nein, die kamen aus ganz unterschiedlichen Richtungen, die waren ja auch in unterschiedlichen Parteien, in der SPD, in der CDU, kamen aus der katholischen Richtung und die haben jetzt nicht von Anfang an gesagt: Hey jo, wir machen jetzt hier den Frauenpower-Club und mischen die Männer auf, sowas nicht. Die haben schon parteigebunden gearbeitet, kamen, wie gesagt, aus ganz unterschiedlichen Richtungen, aber sie haben irgendwann erkannt, dass sie sich zusammentun müssen und dass es hilft, wenn sie sich zusammentun. Die haben unglaublich für die Gleichberechtigung und vor allem für die Verankerung im Grundgesetz gekämpft und das ging dann eben tatsächlich nur zusammen. Aber jeder von seiner Position aus.
Rosenplänter: Von Helene Wessel haben wir übrigens eine Aktentasche in der Sammlung.
Roth: Das ist eigentlich eine total schnöde, schlichte, braune, total abgegriffene Aktentasche. Man könnte auch sagen, das ist auch eine Männeraktentasche eigentlich und spricht eben auch, glaube ich, für das Arbeitsethos und eben das Selbstbild der vier Damen damals, und man kann sehen, dass die Tasche viel genutzt wurde, dass viele Dokumente darin transportiert wurden und es gibt ja ein schönes Zitat von Carlo Schmid über Helene Wessel, der gesagt hat: „Helene Wessel ist der einzige Mann im Bundestag.“ Das war als Lob gemeint und er wollte damit sagen, dass sie eben besonders durchsetzungsstark war, dass sie unnachgiebig war und eben für ihre Dinge eingestanden hat.
Rosenplänter: Sie hat diese Tasche später ihrem Neffen geschenkt, erzählt Tuya Roth.
Roth: Der hat die dann selber auch noch jahrelang als Lehrer genutzt. Und dann ist sie in Vergessenheit geraten. Und irgendwann hat er sie auf dem Dachboden wiederentdeckt und hat sie dann, ein Glück, zu uns gebracht. Also mal wieder ein echter Glücksfall für uns.
Rosenplänter: Diese Unterlagen, die Helene Wessel in dieser Tasche transportiert hat, haben also dazu geführt, dass Frauen in der Bundesrepublik Deutschland heute deutlich mehr Rechte haben, als sie es früher hatten.
Roth: Also erst mal durften sie gar nicht so viel mehr, weil es gab zwar diesen Artikel im Grundgesetz, aber wie der Name schon sagt, das war einfach nur das Grundgesetz, was es festgelegt hat. Erst in der Folge des Grundgesetzes mussten dann einzelne Gesetze verabschiedet werden, um das, was im Grundgesetz vorgegeben ist, auch umzusetzen. Deswegen ist das Grundgesetz an sich eigentlich ein relativ dünnes, kleines Papierchen, könnte man fast sagen. Aber heute gibt es halt ganz, ganz viele Gesetze, die sich alle auf dieses Grundgesetz beziehen und die sind jetzt sehr umfangreich. Erst 1958 gab es zum Beispiel ein Gesetz, was Frauen erlaubt hat, ihr eigenes Konto zum Beispiel zu eröffnen oder den Lohn, den sie selber verdient haben, selber zu verwalten. Vorher hat das alles der Ehemann gemacht. Oder, dass sie selber entscheiden durften, wann und wie sie arbeiten gehen durften. Vorher war das alles vom Mann abhängig.
Rosenplänter: Aber es gab ja nicht nur den einen Teil Deutschlands. Parallel zur Gründung der Bundesrepublik wurde ja auch die DDR gegründet und da liest man oft, dass Frauen in der DDR eigenständiger und selbstbestimmter waren, dass viel mehr Frauen einen Job hatten und ihr eigenes Geld verdient haben.
Roth: Also die DDR hat schon in ihrer Verfassung 1946/47 auch Männer und Frauen gleichgestellt vor dem Gesetz. Allerdings geschah das jetzt weniger aus, ja, Überzeugungsarbeit, sondern vor allem aus Arbeitskräftemängeln in der Produktion heraus. Das entsprach auch dem sozialistischen Menschenbild, das muss man schon sagen, aber es gab einen erheblichen Arbeitskräftemangel und in dem man Männer und Frauen gleichberechtigt stellte, gesetzlich, konnten halt alle auch die gleichen Jobs machen.
Rosenplänter: Allerdings waren alle diese Gesetze nicht darauf ausgelegt, die Rollenverteilung von Frauen und Männern zu verändern. Heißt, in der Realität änderte sich im Alltag der Menschen wenig. Frauen waren weiterhin überwiegend für den Haushalt verantwortlich, für die Kindererziehung und andere häusliche Pflichten. Und die Männer machten Karriere.
Roth: Das sozialistische Frauenbild ging genau dahin, dass man gesagt hat, ich kann das auch noch mal zitieren: „Die moderne Frau in der DDR sollte nicht nur voll berufstätig sein, sie sollte auch ständig sich weiterbilden, in gesellschaftlichen Organisationen aktiv sein. Sie sollte darüber hinaus den Haushalt meistern und eine gute Köchin sein. Ihren Kindern sollte sie eine liebevolle Mutter und ihr Mann eine zwar beruflich gleichberechtigte, aber dennoch fürsorgliche Ehefrau sein.“ Das führte dann dazu, dass zum Beispiel 1969, da gibt es Erhebungen aus der DDR selber, Frauen eine durchschnittliche Arbeitszeit von 93 Arbeitsstunden in der Woche hatten.
Rosenplänter: Was aber in der DDR eine deutlich größere Bedeutung hatte als in der Bundesrepublik und teilweise noch bis heute hat, ist der Internationale Frauentag am 8. März.
Roth: Wir sind ja wieder jetzt bei 1911: Frauen dürfen noch nicht wählen, nehmen kaum am öffentlichen Leben teil, haben eben kaum Rechte. Und das war eben der Versuch der Frauenbewegung damals, ihre Forderungen in den Vordergrund zu rücken. Und wie so vieles hat sich die DDR den auch zu eigen gemacht. Es gab ja viele politische Feiertage in der DDR, die dazu dienten, die sozialistische Politik immer wieder im Volk zu verankern und zu verfestigen. Und der Internationale Frauentag am 8. März gehörte dazu, gehörte zum festen politischen Festtagsprogramm der DDR.
Rosenplänter: Wobei über die Sinnhaftigkeit dieser Feierlichkeiten bis heute unterschiedliche Ansichten existieren. Einige erinnern sich mit Abneigung an den Tag, weil alles erzwungen und nicht echt war. Andere haben es als Tag in Erinnerung, an dem sie Kaffee ans Bett gebracht bekommen haben, es gab oft Sekt auf der Arbeit und viele Blumen, auch aus Plastik zum Anstecken. Und von denen haben wir ganz viele in unserer Sammlung.
Roth: Man hatte halt das Gefühl, ja, es ist Frauentag, also müssen wir den Frauen mal was Gutes tun und schenken ihnen ein paar Blümchen. Diese Blumen wurden im Vorfeld von Frauen gefertigt und wurden dann von Haus zu Haus oder in den Betrieben von Frauen an Frauen für 50 Pfennig verkauft. Und man trug sie dann eben am internationalen Frauentag, entweder bei den betrieblichen Feiern, die dann stattfanden oder bei den Demonstrationen und so weiter am Revers.
Rosenplänter: Der internationale Frauentag ist bis heute nur ein Gedenktag. Nur in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist er ein gesetzlicher Feiertag. Und noch immer erinnert er daran, dass der lange Kampf um Gleichberechtigung noch immer nicht abgeschlossen ist.
Roth: Also sagen wir mal so, ich bin ja immer optimistisch, ich würde sagen, es ist total viel schon passiert. Faktisch, praktisch gibt es immer noch keine Gleichberechtigung von Frauen. Als Mutter von zwei Kindern kann ich jetzt schon sagen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch ein wunder Punkt ist, wo immer noch nicht geklärt ist, wie wir das umsetzen können. Für viele Frauen ist das immer noch ein Karriereknick. Es gibt immer noch viel weniger Frauen in Führungspositionen. Es gibt immer noch Frauen, die weniger Geld verdienen als Männer. Und insofern ist immer noch was zu tun.
Meike Rosenplänter, Moderation
Dr. Tuya Roth, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
1949 - Gleichberechtigung