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Praktisch, haltbar und mit nur wenigen Rohstoffen herzustellen - das sind wichtige Kriterien für die Formgestaltung in der DDR. So wie die Geschirrserie "Rationell": die Tassen sind stapelbar, das Kaffee-Kännchen tropft nicht und kann mit einer Hand bedient werden.Rosenplänter: Draußen nur Kännchen, hörte man früher häufig auf den Terrassen von Cafés und Restaurants in der Bundesrepublik und damit herzlich willkommen zu dieser Zeitgeschichte. Ich bin Meike Rosenplänter. Und wenn man sich dann ein Kännchen-Kaffee bestellt hat, dann kam das oft in so geschwungenen, bauchigen Kännchen oder ganz geradlinigen, mit einem flachen Deckel. Dieses Design stammte aus der DDR, wurde aber statt Design Formgestaltung genannt und einen Namen hatte das so gestaltete Geschirr auch, nämlich Rationell. Das steht auch bei uns im Museum in der Kulturbrauerei in einer Vitrine und besonders gut kennt sich damit Thorsten Krause aus. Er ist unser Objekt-Disponent in Berlin. Das heißt, er ist für alle unsere Sammlungsobjekte in Berlin zuständig und kümmert sich darum, dass es denen museal gut geht. Hallo Herr Krause.
Krause: Hallo Frau Rosenplänter, ich grüße Sie.
Rosenplänter: Was ist denn das Besondere an diesem Geschirr? Warum wird das bei uns ausgestellt?
Krause: Also besonders ist zunächst einmal der Name des Produkts, Rationell. Besonders ist seine Funktionalität, das ist nämlich bei dem kleinen Kaffee-Kännchen einhändig zu bedienen. Besonders ist die Produktionsdauer und die Dekore, die Rationell trägt sozusagen. Und besonders ist auch, weil sich an diesem Geschirr eine kleine deutsch-deutsche Design-Geschichte ablesen lässt. Und zu guter Letzt ist das Geschirr besonders, weil es durchaus noch in dem einen oder anderen Haushalt nach wie vor in Gebrauch ist.
Rosenplänter: Warum ist der Name besonders?
Krause: Naja, der Name ist deshalb besonders, also die Geschirrserie heißt Rationell. Und meist waren Geschirrserien mit Vornamen, zum Beispiel wie Daphne oder ähnliches benannt worden. Und Rationell, dieser Name hat also nichts sozusagen Blumiges. Er ist klar, präzise. Ist sozusagen; spiegelt einfach die Funktionalität dieses Produkts wider.
Krause: Wo wurde dieses Geschirr denn genutzt? Naja, also es wurde eigentlich konzipiert für eine Hotelkette, für die Hotelkette in der DDR Interhotel, also eine gehobene Hotelkette. Es wurde dann aber eher zu einer Standardausrüstung für den gastronomischen, beziehungsweise für gesellschaftliche Einrichtungen wie Mitropa oder die FTGB-Heime.
Rosenplänter: Kannte denn jeder in der DDR diese Tassen oder gab es da irgendwie auch in der Gastronomie noch irgendwelche Auswahl?
Krause: Also in der Gastronomie Auswahl eher nicht, weil tatsächlich die Aufgabe gestellt wurde, eine Geschirrserie zu erfinden, nenne ich es jetzt mal, die einfach den Bedürfnissen von Gastronomen beziehungsweise von gesellschaftlichen Einrichtungen, ja zu sagen, dass das erfüllt wurde.
Rosenplänter: Von wem wurde diese Aufgabe gestellt?
Krause: Sie wurde dann sozusagen ja von staatlicher Seite herausgestellt, einerseits und weil es aber auch ja den Bedarf aus diesen Betrieben gab, weil die Geschirrserien davor, die waren zum Beispiel nicht zu stapeln, die waren zum Beispiel nicht relativ bruchfest und dadurch kam einfach so zu sagen das Produktbedürfnis, eine entsprechende Geschirrserie zu erfinden, zu entwerfen und zu produzieren.
Rosenplänter: Und damit wurde dann das Amt für Formgestaltung beauftragt, ist das richtig?
Krause: Ja, also die Aufgaben vom Amt für industrielle Formgestaltung sind eher umfassender. Also das Amt selbst wurde 1972 gegründet, wie gesagt das Amt für industrielle Formgestaltung und das Gesetzblatt der DDR beschreibt auch die Aufgaben vom Amt für industrielle Formgestaltung. Dort heißt es dann nämlich: „als staatliche Einrichtung Kontrolle, Lenkung und Anleitung der Formgestaltung auf allen Ebenen zu garantieren. Ziel ist die Qualität von Produkten zu verbessern.“
Rosenplänter: Warum heißt das Formgestaltung und nicht Design?
Krause: Das ist ja eigentlich eine Frage zwischen den beiden deutschen Staaten, nämlich dahingehend: Formgestalterinnen und Formgestalter wurden Gestalter in der DDR genannt, in Westdeutschland in der Bundesrepublik wurden sie dann Designerinnen und Designer genannt. Es gibt aber noch einen kleinen, wie soll ich sagen, einen kleinen Hinweis, nämlich als die Schule für Gestaltung 1953 in Ulm gegründet wurde, hießen dort in den Pressetexten die Gestalter auch Gestalter und erst durch die Übersetzung dieser Pressetexte ins Englische wurde aus der Gestalterin, dem Gestalter, der Designer und so sozusagen lässt es sich erklären.
Rosenplänter: Wer hat denn in diesem Amt gearbeitet?
Krause: Oh, in dem Amt gearbeitet haben unterschiedliche Menschen, das waren dann, ja, Formgestalterinnen, Formgestalter, aber auch Ingenieure, Konstrukteure und Leiter des Amtes selbst war auch ein gelernter Formgestalter, nämlich Martin Kellen. Er war der einzige Leiter von diesem Amt und er war Staatssekretär beim Ministerrat der DDR, was dann wiederum auch die Bedeutung dieses Amtes widerspiegelt.
Rosenplänter: Wurde von diesem Amt aus nur Geschirr hergestellt oder wurden da auch noch andere Dinge hergestellt?
Krause: Naja, also wie gesagt, es wurden zahlreiche Dinge sozusagen hergestellt beziehungsweise beauftragt oder kontrolliert, wie ich schon Eingangs sagte. Also ja, vom Eierbecher bis zur Lokomotive, diese Spannbreite hatte dann tatsächlich dieser Aufgabenbereich des Amtes.
Rosenplänter: Jetzt haben Sie gesagt, das Design von dieser Geschirrserie sei besonders. Wie wurden solche Designs denn entwickelt?
Krause: Entwickelt wurden sie schlussendlich immer von den Gestalterinnen und Gestaltern. Der Anlass war natürlich dann die Frage, also gab es einen Bedarf? Jetzt wie an unserem Beispiel nach der Produktion eines stabilen Geschirrs, möchte ich mal sagen. Natürlich gab es aber auch eigene Ideen, die Gestalterinnen und Gestalter verfolgt haben und sozusagen aus diesen beiden Komponenten sind dann die entsprechenden Produkte entworfen und dann produziert worden.
Rosenplänter: Wenn wir uns jetzt mal dieses Geschirr angucken, das hat ja ziemlich klare Linien, wenig bis keine Schnörkel, ist überwiegend hell gehalten mit einzelnen Strichen drauf. Gab es Vorbilder für dieses Design?
Krause: Ja, es gab Vorbilder für das Design, sicherlich auch sozusagen in der persönlichen Ausbildung von den beiden Formgestaltern, Frau Jahny und Herrn Müller. Frau Jahny sozusagen wurde von einer Bauhausschülerin angeleitet und darin zeichnet sich dann auch dieses sozusagen schlichte Banddekor, wie sie es selbst genannt hat, aus. Also es gab keine Schnörkel, keine Farbigkeit, die irgendwie sehr vielfältig war. Es wurde klar und deutlich reduziert auf dieses Banddekor und nichts weiter.
Rosenplänter: Was wissen wir denn noch von diesen Formgestalterinnen und Formgestaltern, also Frau Jahny und Herrn Müller? Na ja, also wie ich schon sagte, Frau Jahny hat dann durch ihre sozusagen Lehrerin, Frau Brandt, war sicherlich dem Bauhausgedanken verpflichtet, also dieser Schule der Moderne, wo es darum ging, Kunst, Handwerk und Industrie zu vereinen und diesen Gedanken hat sie dann auch in ihre Arbeit einfließen lassen. Frau Jahny selbst ist jetzt leider vor fünf Jahren verstorben. Sie war aber Mitarbeiterin unter anderem am Institut für Angewandte Kunst, beziehungsweise wurde zum Beispiel 1983 mit dem Designpreis der DDR ausgezeichnet. Und natürlich hat Frau Jahny gemeinsam mit Herrn Müller dieses Geschirr gestaltet, aber Frau Jahny hat dann unter anderem auch noch andere sozusagen Geschirrserien wie Luzern oder Europa mit entworfen und mitgestaltet.
Rosenplänter: Gab es so etwas wie ein sozialistisches Design? Also gibt es zum Beispiel Merkmale, die sich vom Design zum Beispiel von denen in der Bundesrepublik unterschieden haben?
Krause: Das ist, also würde ich fast mit einer Gegenfrage antworten. Gab es finnisches Design oder gab es französisches Design oder gab es polnisches Design? Zunächst einmal würde ich sagen, es waren die Rahmenbedingungen, die unterschiedlich waren. In der DDR Planwirtschaft, Diktatur, im Westdeutschland, ja, soziale Marktwirtschaft, Demokratie. Und unter diesen Rahmenbedingungen, dort musste dann Design beziehungsweise Formgestaltung entstehen. Ob es dann darüber hinausgehend eine tatsächlich politische Form gibt, das müsste man diskutieren. Aber wie gesagt, es sind die Rahmenbedingungen, die unterschiedlich waren, die dann Formgestalterinnen und Formgestalter einengten oder zu Kompromissen zwangen.
Rosenplänter: Jetzt gab es ja in ganz, ganz vielen Bereichen zwischen DDR und Bundesrepublik so einen Wettkampfgedanken. Gab es den auch im Designbereich, im Formgestaltungsbereich? Also machte die DDR das bessere Design, die moderneren, fortschrittlicheren Produkte?
Krause: Da möchte ich eigentlich Mart Stam zitieren. Mart Stam war am Institut für Industrielle Gestaltung nach dem Zweiten Weltkrieg, was hier in Berlin ansässig war. Damals gestartet mit so einer Art Formgestaltungsphilosophie. Es war nämlich sozusagen der Slogan, das Beste für den Werktätigen. Und das war sozusagen der Anspruch, insbesondere in den früheren Jahren des DDR-Designs, wie die Produkte gestaltet werden sollen. Dann über die Zeit gab es dann natürlich unterschiedliche Strömungen, was seitens der DDR-Regierung, des DDR-Regimes als schön, als erwünscht oder als unerwünscht sozusagen definiert wurde. Aber spätestens als dann die wirtschaftlichen Nöte der DDR zu groß wurden, spätestens in den 1980er-Jahren, war dann das Design auch dafür sozusagen zuständig, Devisen aus dem Ausland zu generieren. Also dahingehend sollten die Produkte auch gestaltet werden, dass sie für das Ausland sowohl, oder insbesondere für das westliche Ausland attraktiv werden.
Rosenplänter: Wie frei waren denn die Gestalter in ihrem Design?
Krause: Also das Amt für Industrielle Formgestaltung, was ja wie gesagt 1972 gegründet wurde, setzte auf eine umfassende Kontrolle von Formgestaltung, beziehungsweise von der Arbeit der Formgestalterinnen und Formgestalter. Das heißt, es gab zum Beispiel so etwas wie Fachgruppen, die dann eingereichte oder dort entstandene Entwürfe zunächst einmal begutachteten unter unterschiedlichen Aspekten, ästhetisch, aber auch tatsächlich auf die Machbarkeit dahingehend, gibt es genug Ressourcen dafür? Gibt es genug Materialien dafür? Und gibt es auch die Fertigungsgenauigkeit innerhalb des Produktionsprozesses, um ein Produkt entsprechend auch wirklich umsetzen zu können?
Rosenplänter: Das heißt, die Mangelwirtschaft war da ein Problem?
Krause: Ja, das war dann sicherlich das Problem zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu arbeiten. Und das, glaube ich, führte insbesondere dann die Formgestalterinnen und Formgestalter in so ein gewisses Spannungsverhältnis, nämlich die eigenen Ansprüche, die eigenen Ideen realisiert zu wissen und gleichzeitig das Amt sozusagen nicht als Berater, wie es sich selbst verstanden hat, sondern fast schon als Verhinderer zu sehen. Und da, glaube ich, war die Arbeit für die Formgestalterinnen und Formgestalter sehr, sehr schwierig. Bisweilen, glaube ich, auch sehr, sehr demotivierend.
Rosenplänter: Sie haben vorhin eine Schule erwähnt. Wurden da auch die Formgestalterinnen und Formgestalter ausgebildet?
Krause: Ja, also die Schule, die ich meinte, das war die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, die es ja bis heute noch gibt. Und es gab landesweit in der DDR Hochschulen, Fachschulen, um sozusagen Designer, Designerinnen zu werden. Wie gesagt, in Berlin die Kunsthochschule Berlin-Weißensee, dann die Burg, wie sie immer noch genannt wird, die Hochschule für Industrielle Gestaltung in Halle. Es gab bis heute, wenn ich mich recht entsinne, gibt es die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Dann gibt es die Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Und wie gesagt, Fachschulen, die dann über das gesamte Gebiet der DDR auch verteilt waren, Magdeburg, Schneeberg, Sonneberg, um das mal beispielhaft zu nennen.
Rosenplänter: Was ist denn dann nach der Wiedervereinigung mit diesem Amt passiert?
Krause: Also das Amt selbst wurde von der ersten freigewählten Regierung der DDR aufgelöst. Das heißt, das Amt gab es als solches dann nicht mehr. Und was damit auch sozusagen Einzug hielt, war, dass es dann in der Bundesrepublik kein staatlich kontrolliertes Design mehr gab. Also diese Designpolitik der DDR existierte dann mit der Abschaffung des Amtes nicht mehr. Jetzt ist es so, ich kann dieses Amt abschaffen, aber gleichzeitig hat das Amt auch Produkte gesammelt. Das kann man ein bisschen abkürzen wie so eine Art Belegssammlung, hat das Amt hat über Jahrzehnte in der DDR produzierte Produkte gesammelt. Und genau diese Sammlung ist jetzt seit 2005 in der Obhut von der Stiftung Haus der Geschichte. Und es ist jetzt hier in Berlin ansässig. Und diese Sammlung wird jetzt von uns sukzessive museal erschlossen.
Rosenplänter: Wie viele Stücke sind da drin?
Krause: Also wir gehen von einer gegenwärtigen Schätzung von circa 160.000 Objekten aus. Es ist ein äußerst heterogener Bestand. Salopp gesagt, vom Eierbecher bis zum Trabant haben wir alles im Bestand.
Rosenplänter: Was wird damit im Moment gemacht?
Krause: Also gegenwärtig wird es zunächst einmal adäquat im Depot verwahrt. Das ist das eine. Dann wird es sozusagen museal erschlossen. Sprich die Gegenstände werden sukzessive dokumentiert. Und dadurch werden sie aber auch gleichzeitig sozusagen aktiviert. Nämlich, dass sie für den nationalen oder internationalen Leihverkehr zur Verfügung stehen. Wir stellen einen Großteil der Objekte auch online für unsere virtuelle Ausstellung Sammlung im Internet. Also nicht nur im Depot werden die Sachen verwahrt, sondern sie werden auch durch unsere museale Erschließungsarbeit aktiviert.
Rosenplänter: Das heißt, andere Museen könnten jetzt auf uns zukommen und sagen, sie würden gerne eine Ausstellung damit machen und sich dann Objekte ausleihen?
Krause: Jeder Wissenschaftlerin, jeder Wissenschaftler, jedes Museum ist herzlich willkommen.
Rosenplänter: Werden diese Sachen denn heute noch hergestellt?
Krause: Naja, also wie gesagt, hergestellt ja. Sie werden aber nicht mehr produziert. Das ist vielleicht ein kleiner, feiner Unterschied. Aber um es jetzt ganz konkret zu nennen, also was man in jedem Fall noch kaufen kann, ist diesen Eierbecher in Hühnerform. Das ist sozusagen fast allgegenwärtig. Was aber auch noch zu erwerben ist, ist der sogenannte Schaukelwagen, der Anfang der 1950er Jahre von Herrn Brockhage entwickelt wurde. Weiterhin kann man die sogenannten Rupfentiere von Frau Müller kaufen. Man kann auch den einzigen Sportwagen, den es damals in der DDR gab, heute immer noch bestellen. Und das ist dann sozusagen Handarbeit. Also man wird nicht mehr Produkte treffen, die tatsächlich weiterhin produziert werden. Es ist dann eher so die Kleinserie oder auf Anfrage oder auf tatsächliche Bestellung werden diese Sachen dann hergestellt.
Rosenplänter: Aber die Geschirrserie Rationell wird nicht mehr hergestellt?
Krause: Nein, also spätestens 1990 war in dem Werk in Kolditz Schluss. Und heute, jetzt kann man ja den Vergleich zu Büchern ziehen, bekommt man es tatsächlich antiquarisch.
Rosenplänter: Dabei ist so unkaputtbares und gut stapelbares Geschirr ja echt sinnvoll. Danke Ihnen, Thorsten Krause.
Krause: Ich habe zu danken.
Rosenplänter: In der nächsten Zeitgeschichte gehen wir gemeinsam schlafen. Also zumindest so vom Gefühl her. Dann sprechen wir nämlich über das Sandmännchen und die Unterschiede zwischen dem Sandmännchen im Osten und dem im Westen. Bis dahin, euch eine schöne Zeit.
Meike Rosenplänter, Moderation
Thorsten Krause, Objektdisponent
1969 - Nachhaltig & schlicht