2021 - Flutkatastrophe
  • Vom Besteck bis zum Auto: Viele Menschen haben in der Flutkatastrophe im Juli 2021 alles verloren, auch unsere Kollegin Dorit Ley. Unter anderem wird das Fotoalbum ihrer Hochzeit zerstört. Die Reste liegen jetzt im Haus der Geschichte, wo sie konserviert werden.

    Ley: Ich sage immer vom Löffel bis zum Auto war alles weg.

    Rosenplänter: Vom 14. auf den 15.Juli 2021 verlieren Dorit Ley und ihre Familie fast alles, was sie besitzen. Sie wohnen in Kreuzberg, einem Ortsteil von Altenahr, der von der Flut im Ahrtal betroffen ist. Und damit herzlich willkommen zu dieser besonderen Ausgabe unseres Museumspodcasts Zeitgeschichten. Mein Name ist Maike Rosenplänter. In diesem Podcast Special stellen wir euch Dorit Ley vor, die ihr eben schon gehört habt und die bei uns im Museum in Bonn arbeitet, in der Verwaltung. Und wir stellen euch Iris Lasetzke vor, die unsere Restaurierung leitet und die gerade damit beschäftigt ist, Objekte aus der Flutkatastrophe von 2021 zu sichern.

    Lasetzke: Das geht einem auch nahe. Also wir müssen dann natürlich die Sachen sehr schnell auch bearbeiten, weil gerade jetzt bei den Flutobjekten ist es sehr, sehr wichtig eben Schimmel zu verhindern, die Dinge zu trocknen, damit nicht noch mehr Schaden passiert. Und wir müssen da schnell handeln. Aber man muss eben auch es wegdrängen, dass es eben auch solche Schicksale sind und man ja auch nicht weiß, was mit den Leuten passiert ist, denen die Objekte ja auch mal gehört haben.

    Rosenplänter: Dass das Haus der Geschichte Objekte von der Jahrhundertflut 2021 sammeln würde, das war schnell klar. Immerhin ist es ein Ereignis der Zeitgeschichte, das nicht nur die beiden am schlimmsten betroffenen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen beschäftigt hat. Mindestens 180 Menschen kamen bei der Katastrophe in den beiden Bundesländern ums Leben, darunter fünf Feuerwehrleute im Einsatz. Gemessen an dieser Opferzahl ist es damit die schwerste Naturkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut 1962. Also wie schnell an aussagekräftige Gegenstände rankommen, ohne Betroffene vor den Kopf zu stoßen?

    Lasetzke: Also unser Haus ist da sehr vorsichtig vorgegangen, weil bei so einer Katastrophe möchte man die Leute ja jetzt nicht damit überfallen oder als Schautouristen da gelten, was ja im Ahrtal jetzt schon häufig genug vorgekommen ist bei Leuten. Wir sind meines Wissens nach auch über einen Pfarrer gegangen, der Kontakt mit Flutopfern hatte und haben eher durch ihn dann gewisse Objekte bekommen.

    Rosenplänter: Oder eben von Kolleginnen und Kollegen, die selbst betroffen sind, wie Dorit Ley. Dabei ist an diesem 14. Juli erst mal für sie alles wie immer.

    Ley: Ich bin ganz normal mit dem Zug von der Arbeit nach Hause gefahren, war um 17 Uhr in Kreuzberg. Man hat aus dem Zug gesehen, dass die Ahr überall über die Ufer trat, aber man hat sich da keine Gedanken gemacht. Hochwasser kannte man von 2016. Dann hat man gedacht, ja, Wasser.

    Rosenplänter: Aber es bleibt nicht so entspannt.

    Ley: So halb sieben, also 18.30 Uhr, ruft mein Mann, Dorit, komm mal ans Fenster, auf der Straße läuft Wasser. Das war aber nicht die Ahr, sondern der Nebenfluss der Saarbach. Dann kam das Wasser, geschossen. Und dann hat man in seiner ersten Hektik, Decken, alles mögliche vor die Eingangstür, musst ja sichern. Ja, das hat vielleicht 20 Minuten gedauert. Wir haben vorm Haus zwei Autos stehen gehabt. Da schwammen die Autos auf und dann konnte man hinterher winken, wie die Autos weg waren.

    Rosenplänter: Den Fernseher, den können die beiden noch ins Obergeschoss retten.

    Ley: Und dann kam die erste Welle, da standen wir schon bis über die Knie im Wasser. Dann sind wir hoch, erste Etage. Du konntest nichts mehr mitnehmen, gar nichts mehr. Und dann sind zwei Wellen nachgekommen. Und dann hat man im Treppenhaus, Stufe für Stufe, sehen können, wie das Wasser immer höher kam. Bis es letztendlich, so halb elf sein Höhepunkt erreicht hat. Und dann stand es eben bei uns in der ersten Etage, haben wir ungefähr zehn Zentimeter noch im Wasser gestanden.

    Rosenplänter: Zu diesem Zeitpunkt denkt Dorit Ley aber nicht an ihr Hab und Gut, sondern daran, dass es noch schlimmer kommen könnte.

    Ley: Unsere Häuser waren alle mit Flüssiggasttanks versorgt. Und die haben sich durch das Wasser losgerissen, schwammen durch die Gärten und das Gas entwich. Und keiner wusste, wie reagiert Wasser mit Gas. Also wenn das irgendwo geknallt hätte, dann hätten wir uns verabschieden können.

    Rosenplänter: Etwa um 23.30 Uhr erreicht das Wasser seinen Höchststand. Danach sinkt es langsam. Aber erst am nächsten Morgen können Dorit Ley und ihr Mann wieder ins Erdgeschoss.

    Ley: Auf den Treppenstufen so hoch Schlamm, das war also schon gefährlich, da überhaupt runterzugehen.Und dann, ja, im Erdgeschoss war Küche und Wohnzimmer, Wohn-Esszimmer. Wohnzimmertür habe ich gar nicht mehr aufbekommen. Es war einfach nur Chaos. Es war nichts. Stand mehr da, wo es mal stand. Alles durcheinander. In der Küche, die Schränke standen, bis auf einen Hängeschrank, der war runtergekommen. Dann habe ich dann so die Türen aufgemacht und gedacht, steht ja alles noch so in Reihe und Glied.

    Rosenplänter: Die Feuerwehr kommt erst am Freitag, dem 16. Juli, in den Ort. Davor Funkstille. Auch die beiden erwachsenen Kinder von Dorit Ley und ihrem Mann wissen nicht, was mit ihren Eltern passiert ist, wie es ihnen geht, ob sie überhaupt noch leben.

    Ley: Also bis zu diesem Freitag, sie konnten sich niemandem mitteilen. Kein Handy, kein Telefon, kein nichts. Es kam Feuerwehrdurchsagen. Der Ort wird evakuiert, weil die Gefahr besteht, dass die einzige Zugangsbrücke zum Ort auch bricht. Und dann wären wir komplett abgeschnitten gewesen.

    Rosenplänter: Die beiden kommen aber bei Familie unter und bleiben dort für die nächsten Wochen, bis sie in Bonn eine Mietwohnung finden.

    Ley: Ich muss dabei sagen, wir hatten, das war ein angemietetes Doppelhaus. Aus heutiger Sicht und den Problemen, die die Eigentümer haben, muss ich sagen, zum Glück. Wir haben zwar alles verloren, was im Haus war, aber haben eben danach mit der Hülle nichts mehr zu tun gehabt.

    Rosenplänter: Was bleibt, ist der Verlust der Erinnerung.

    Ley: Das ist das, was eigentlich am meisten weh tut, dass eben diese persönlichen Erinnerungen einfach unwiederbringlich weg sind.

    Rosenplänter: Darunter auch das Fotoalbum ihrer Hochzeit.

    Ley: Ich hatte im Flur, ich habe immer gesagt, das war die Ahnengalerie, hingen ganz viele Fotos. Und die Fotos, die über der Wasserlinie hingen, waren ja noch in Ordnung. Die habe ich auch retten können. Da war auch ein Hochzeitsbild dabei. Also eins habe ich noch.

    Rosenplänter: Das hat sie natürlich behalten. Aber alle anderen Fotos, die im Hochwasser untergegangen sind, die hat sie dem Haus der Geschichte überlassen.Auch ihr Hochzeitsfotoalbum, genau so, wie sie es im Wohnzimmer gefunden hat. Komplett verschlammt, die Fotos lose und nicht mehr erkennbar.

    Lasetzke: Wasser ist gerade bei Fotos einfach sehr zerstörerisch. Man sieht ja auch gar nichts mehr. Also da kann man jetzt nur sagen, okay, wir können es konservieren, dass nicht noch mehr passiert, aber man sieht ja nichts mehr drauf. Ich kann auch nichts tun als Restaurator, diese Bilder wieder hervorzuholen oder zu optimieren. Das ist einfach ein Totalschaden.

    Rosenplänter: Zum Konservieren gehört für Restauratorin Iris Lasetzke jetzt vor allem das Fotoalbum vom Schimmel zu befreien. Schwarzer Schimmel ist extrem gefährlich für die Gesundheit. Und deshalb trägt Iris bei ihrer Arbeit mit dem Album auch einen Schutzanzug. Sie hat Watte in den Ohren, eine Maske auf und eine Schutzbrille und natürlich Handschuhe. In einer speziellen Absaugevorrichtung liegt das Buch, das sie nur durch einen kleinen Schlitz in der Scheibe greifen kann. Und so tupft sie den Schimmel vorsichtig mit einem Schwamm ab oder wischt ihn mit einem Pinsel weg. Eine Arbeit, die wichtig ist, um das Objekt zu konservieren, aber auch um eine Übertragung des Schimmels auf andere Objekte im Depot zu vermeiden und um die Menschen zu schützen, die damit noch in Verbindung kommen. Trotzdem, ein Restrisiko bleibt.

    Lasetzke: Wir bemühen uns natürlich, den oberflächlichen Schimmel komplett abzunehmen. Und da können wir aber jetzt nicht garantieren, dass nicht noch Restsporen da bleiben. Deshalb ist es dann im Anschluss essenziell wichtig, die Dinge so zu lagern, dass sich der Schimmel nicht weiterentwickelt.

    Rosenplänter: Gleichzeitig darf aber das, was den Gegenstand als Objekt der Zeitgeschichte ausmacht, nicht   zerstört werden, nämlich den Schlamm. Der muss konserviert werden.

    Lasetzke: Wir sammeln ja nicht die Objekte unbedingt der Objekte wegen. Die Vita der Objekte ist ja gerade das Interessante für unser Museum. Und das muss eben jetzt auch in der Restaurierung, ist das die Herausforderung, diese Objekte zwar konservatorisch optimal zu behandeln, gleichzeitig aber müssen wir ja die Spuren erhalten.

    Rosenplänter: Der Schmutz wird konserviert, indem dafür gesorgt wird, dass er da kleben bleibt, wo er ist. Bei Büchern wie dem Hochzeitsalbum von Dorit Ley ist es relativ einfach, der Schlamm klebt sehr fest. Bei weichen Kuscheltieren oder anderen leicht biegsamen Objekten ist das schon schwieriger.

    Lasetzke: Wir müssen natürlich sehr gucken, dass das Handling sehr vorsichtig erfolgen, auch die Lagerung, dass eben keine Erschütterung und diese Archivboxen jetzt auch nicht ständig umgeräumt werden. Deshalb werden die auch dann an einem speziellen Ort gesammelt, archiviert hier im Haus.

    Rosenplänter: Dass die ihre Erinnerungsstücke hier im Museum umsorgt werden, das ist für Dorit Ley ein schöner Gedanke.

    Ley: Aber ich versuche es immer nicht so an mich rankommen zu lassen. Ich sage mal, es würde mir, wenn ich das jetzt jeden Tag oder jeden zweiten Tag gesagt kriege, Frau Ley, kommen Sie doch mal gucken. Das möchte ich nicht. Das muss ich ehrlich sagen. Aber hier zu wissen, hier ist es vielleicht auch mal für einen Besucher des Museums zugänglich, dass ein Außenstehender auch mal einen Blick dafür kriegt, was ist so mit persönlichen Dingen passiert. Das ist irgendwo auch ein gutes Gefühl.

    Rosenplänter: Wann ihr das Hochzeitsalbum und Plüschtiere in einer Ausstellung zur Jahrhundertflut in Rheinland-Pfalz und Westfalen sehen könnt, das ist leider noch unklar. Bis dahin wünschen wir euch aber eine schöne Zeit. Und die Sachen, die werden jetzt erst mal sicher im Depot verwahrt.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Dorit Ley, Verwaltung
    Iris Lasetzke, Restauratorin