2021 - Einheitswippe
  • Auch wenn es noch nicht fertig gebaut ist: Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin ist schon jetzt Teil der deutschen Geschichte. Trotz - oder gerade wegen der vielen Verzögerungen und Diskussionen um den Bau der sogenannte Einheitswippe.

    Rosenplänter: Manche Bauprojekte dauern ja doch deutlich länger als erwartet. Stuttgart 21 ist dafür natürlich ein Beispiel und der Berliner Flughafen BER, der ja doch tatsächlich jetzt in Betrieb genommen wurde. Und das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin, das seit über 20 Jahren in der Mache ist. Das soll den Planungen nach auch dieses Jahr noch fertig werden. Meike Rosenplänter ist mein Name und ja, ihr seid beim Museumspodcast. Heute unterhalten wir uns in dieser Zeitgeschichte über die Einheitswippe, wie das Denkmal im Volksmund genannt wird. Dazu gibt es nämlich ein Modell und die 20 Jahre Vorgeschichte und die gehören natürlich ins Museum, in unserem Fall ins Zeitgeschichtliche Forum Leipzig. Da steht in einer Vitrine relativ zum Ende der Ausstellung dieses Modell, das ein bisschen so aussieht, als hätte das ein Modellbastler gebaut. Anne Martin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und kann uns erklären, warum das alles so lange gedauert hat und warum dieses Modell schon bei uns im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig steht. Hallo Frau Martin.

    Martin:Hallo Frau Rosenplänter.

    Rosenplänter: Wir sind ein Museum für Zeitgeschichte und dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal ist noch überhaupt nicht gebaut. Warum steht es trotzdem bei uns in der Ausstellung?

    Martin: Das stimmt natürlich, aber es geht in unserer Dauerausstellung um die SED-Diktatur, um das epochale Jahr 1989-90 und um den Prozess der Transformation in Ostdeutschland in den 90er Jahren. Wir wollen dann auch fragen, wie schaut denn heute das Erinnern aus in Deutschland? Wie erinnern wir uns an die Friedliche Revolution und die Wiedererlangung der Einheit? Und von daher ist so ein Objekt, was für das Gedächtnis, für das kollektive Gedächtnis, für unser kollektives Erinnern steht, doch sehr passend in einer Dauerausstellung zur Zeitgeschichte.

    Rosenplänter: Warum soll dieses Monument überhaupt gebaut werden?

    Martin: Das ist die große Frage. Sie wissen ja, dass es einen langen und heftigen Streit um diese Denkmalsentwürfe gegeben hat. Es soll ja ein Denkmal in Berlin entstehen und auch eins in Leipzig. Und beiden Projekten war nicht das allergrößte Glück bislang beschieden, sondern beide Projekte haben lange und heftige Diskussionen ausgelöst.

    Rosenplänter: Offiziell heißt das ja Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal, aber im Volksmund wird es eher Einheitswippe genannt. Was hat das denn mit einer Wippe zu tun?

    Martin: Tja, das ist so typisch Berliner Volksmund. Da werden schnell so etwas spöttische, saloppe Ausdrücke gefunden. Wippe heißt das Denkmal, weil es begehbar ist und in Bewegung versetzt werden kann. Sie wissen ja vielleicht, die Wippe, das Einheitsdenkmal, soll mal eine Länge von 50 Metern haben, 700 Quadratmeter begehbarer Fläche und auf diese Fläche können dann die Besucher kommen und sie können diese Schale in Bewegung versetzen. Deswegen der Ausdruck Wippe.

    Rosenplänter: Aber warum muss überhaupt an die Einheit erinnert werden? Ich meine, diejenigen, die alt genug waren, die waren dabei. Alle die, die später geboren wurden, die lernen das jetzt in der Schule oder bekommen es eben erzählt. Also gibt es doch sowas wie eine kollektive Erinnerung an das Ereignis, oder?

    Martin: Das ist die Frage, ob diese Erinnerung wirklich in West- und Ostdeutschland so stark vorhanden ist. Also ich denke, es ist schon ein ganz berechtigtes Anliegen, die Erinnerung wach zu halten und zu vertiefen und das Wissen auch zu stärken in Ost wie West, was die Ereignisse des Jahres 89, 90 betrifft.

    Rosenplänter: Aber die Wiedervereinigung ist jetzt schon 30 Jahre her. Warum ist dieses Monument noch nicht gebaut?

    Martin: Die erste Initiative, solch ein Denkmal zu errichten, kam schon vor dem 10. Jahrestag der Deutschen Einheit, also Ende der 90er Jahre. Dann kam es in den Bundestag. Ein überparteilicher Gruppenantrag wurde eingebracht, dem war aber noch kein Erfolg beschieden. Erst 2007 hat dann der Deutsche Bundestag beschlossen, sowohl in Berlin als auch in Leipzig solle solch ein Denkmal errichtet werden. Dann gab es einen ersten Wettbewerb mit über 500 Entwürfen, die eingereicht wurden für das Denkmal in Berlin. Gleichwohl ist er gescheitert. Dann ein zweiter Wettbewerb, 2012. Aus dem ging dann der Entwurf, nach dem nun heute gebaut werden soll, als Sieger hervor. 2016 hat der Haushaltsausschuss alle Vorbereitungen gestoppt, wohl auch wohl, weil die Kosten nicht so ganz abzusehen waren.  Wieder zwei Jahre Pause. 2018 hieß es dann, nun soll das Denkmal gebaut werden. 2020 erfolgte der symbolische Spatenstich. Jetzt ist die Fertigstellung für 2022 geplant.

    Rosenplänter: Okay, wir sprechen jetzt die ganze Zeit über Erinnerung und das Erinnern an die Deutsche Wiedervereinigung. Aber wie erinnern wir uns denn? Gibt es da Unterschiede zwischen Ost und West?

    Martin: Es gibt sehr große Unterschiede in der Erinnerung an die Einheit in Ost wie West. Sie wissen vielleicht, es werden ja regelmäßig Umfragen gemacht, wie die Ostdeutschen und die Westdeutschen diesen ganzen Prozess bewerten und einschätzen. Und an den Ergebnissen kann man schon erkennen, dass die Erinnerung sehr unterschiedlich ist.

    Rosenplänter: Was sind denn die beiden Sichtweisen von Ost und West?

    Martin: Ost wie West stimmen darin überein, dass die Deutsche Einheit eine Erfolgsgeschichte ist.
    Also da bewegen sich die Antworten immer so auf einem sehr ähnlichen Level. Aber es gibt Unterschiede zwischen Ost und West, was die Bewertung angeht. Es sagen mehr Ostdeutsche als Westdeutsche, nach wie vor bestehen zwischen Ost und West heftige, große Unterschiede. Oder: er war Hauptgewinner der Einheit? Da sagen sehr viel mehr Ostdeutsche, naja, am meisten profitiert von der Einheit haben eigentlich die Westdeutschen. Und das sieht die westdeutsche Bevölkerung mehrheitlich doch ganz anders. Die würden die Hauptprofiteure doch eher im Osten sehen.

    Rosenplänter: Hat sich diese Sichtweise im Laufe der Jahre verändert?

    Martin: Also was in den letzten Jahren auf jeden Fall zu konstatieren ist, ist, dass der Blick auf den Transformationsprozess, dass der sich geändert hat. Das gerade hier in Ostdeutschland immer mehr Mittelpunkt steht: Wie ist das eigentlich gelaufen? Was gab es da für Verwerfungen? Was gab es für Kränkungen der ostdeutschen Bevölkerung? Es sind ja auch da eine Reihe von Publikationen zu erschienen, unter anderem von der sächsischen Ministerin Petra Köpping unter dem Titel „Integriert doch erstmal uns“. Die hat sich sehr detailliert mit dieser Problematik auseinandergesetzt und fragt, was ist eigentlich nach 1990 im Osten geschehen und welche Fehler sind da auch passiert? Was müssten wir da nicht doch mal aufarbeiten? Und es gibt wieder andere Stimmen, die sich da doch sehr stark gegen wehren und sagen wenn wir den Schwerpunkt jetzt auf diesem Transformationsprozess legen, dann machen wir die Ostdeutschen erneut zu Opfern und wir lenken auch davon ab, was davor passiert ist in der DDR. Also wenn man jetzt zum Beispiel sagt, der starke Rechtsradikalismus, der Hang zum Rechtspopulismus in den neuen Ländern, der ist eine Folge des Transformationsprozesses, dann lenke ich davon ab, welche Wurzeln diese Entwicklungen vielleicht schon in der DDR hatten. Das ist dann so die Gegenstimme.

    Rosenplänter: Sie haben eben gesagt, dass es die Idee, ein Einheitsdenkmal zu bauen, auch in Leipzig gab. Aber auch das steht noch nicht. Woran ist das gescheitert? Bisher?

    Martin: Das Denkmal in Leipzig zu errichten, stellt sich als noch schwierigeres Unterfangen heraus. Dort gab es auch schon mehrere Anläufe. Es gab schon einen Wettbewerb, bei dem wurde auch ein Sieger benannt. Danach wurde das wieder rückgängig gemacht. Es folgte eine juristische Auseinandersetzung. Und ich denke, man kann auch sagen, dass der Widerstand in der Bevölkerung noch größer war als in Berlin. Aus verschiedenen Gründen. Es wurde gesagt, das ist doch viel zu teuer. Da kommt so der übliche Einwand, ist das Geld für soziale Anliegen nicht viel besser verwandt? Der zweite Punkt, warum brauchen wir denn überhaupt zwei Denkmale? Eins in Berlin ist doch mehr als ausreichend. Und der dritte Kritikpunkt lautete, es ist eine Verkürzung, wenn man Einheit und Freiheit gleich zusammenfügt und ein gemeinsames Denkmal baut. Das geht dann in die Richtung, dass man sagt, diejenigen, die für die Freiheit gekämpft haben, die Bürgerrechtsbewegung, die Montagsdemonstration in Leipzig, die haben ja gar nicht von Anfang an die Einheit auf dem Schirm gehabt. Und man verkürzt das, wenn man gleich diese beiden Dinge zusammenfügt in einem Denkmal.

    Rosenplänter: In Berlin ist das Ganze von der Politik geregelt worden und die Wippe wird auch trotz vieler Hindernisse gerade gebaut. In Leipzig hätte das Ganze unter Beteiligung der Bevölkerung realisiert werden sollen und das hat eben nicht geklappt. Können wir daraus schließen, dass die Bevölkerung diese Einheitsdenkmäler nicht so richtig will oder es ihr zumindest egal ist?

    Martin: Das gilt in jedem Fall für einen nicht ganz kleinen Teil der Bevölkerung. Aber es gibt auch schon wieder eine Gegenbewegung. Gerade 2020 hat eine Bürgerpetition gestartet, da wird nochmal aufgerufen, sich ausdrücklich zu dieser Einheit zu bekennen. Es gibt immer noch auch in Leipzig starke Kräfte, die das Denkmal wollen und sich dafür einsetzen und wir hoffen doch auch, dass es hier entsteht.

    Rosenplänter: Wenn es Kritik an dem Denkmal gibt, gibt es dann auch Kritik an der Einheit?

    Martin: Es gibt Kritik auf jeden Fall an der Einheit. Ich hatte ja eben schon mal einige Punkte genannt, dass man immer noch sagt, es ist vieles nicht gut gelaufen. Im Einheitsprozess ging es auf Kosten der Ostdeutschen. Ja, es gibt die Stimme, wir haben eben die Einheit immer noch nicht erreicht. Die Ostdeutschen sind nach wie vor benachteiligt, viele fühlen sich nach wie vor als Bürger zweiter Klasse. Das sind ja so die gängigen Kritikpunkte. Und von westdeutscher Perspektive aus kommt dann immer mal wieder so der Vorwurf, Ostdeutsche sind undankbar, berücksichtigen nicht, was wir hier finanziell geleistet haben. Und dass sie auch vielfach nicht sehen, dass die Einheit ja auch für Westdeutsche manchmal mit Verlust verbunden war. Der Journalist Christoph Schröder hat das ja mal so in die Worte gebracht, naja, auch wir Westdeutschen haben ja ein Land verloren und das Land war eigentlich besser als das, was wir danach bekommen haben.

    Rosenplänter: Ohne zu philosophisch werden zu wollen, was wäre nötig, um die Menschen in Deutschland wieder zu vereinen und zu versöhnen mit der Einheit ihres Landes?

    Martin: Ein sehr weites Feld. Vielleicht, dass man doch stärker mal daran erinnert, was wir alles erreicht haben, was es auch an positiven Entwicklungen gibt. Und nicht so sehr immer den Fokus legen auf die Probleme, auf die Diskrepanz zwischen Ost und West, sondern vielleicht eher in Richtung einer stärkeren Zufriedenheit zu argumentieren. Das hielt ich für einen ganz guten Weg.

    Rosenplänter: So wie es aussieht, können wir also Ende des Jahres die 50 Meter lange Wippe gemeinsam zum Schwingen bringen. Ob das dann mehr Einheit bringt, das wird sich wohl zeigen. Danke Ihnen, Anne Martin, für das Gespräch.

    Martin: Sehr gerne.

    Rosenplänter: Die nächste Zeitgeschichte wird weich und fluffig und auch ein bisschen rau. Wir werden uns mal ein paar Kuscheltiere anschauen, die in der Weltstadt des Spielzeugs, in Sonneberg in Thüringen hergestellt wurden. Ihr wart bis hierher dabei, das freut uns sehr, dann scheint euch der Podcast hier zu gefallen. Ihr würdet uns eine sehr große Freude machen, wenn ihr uns weiterempfehlt. Und wenn ihr was nicht so toll findet, dann schreibt uns gerne, dann können wir noch ein bisschen besser werden. Und wenn ihr es nicht schon getan habt, gerne den Podcast abonnieren, dann bekommt ihr auch die nächste Folge direkt angezeigt. Danke euch, bleibt gesund und bis zum nächsten Mal.


    Meike Rosenplänter, Moderation
    Anne Martin, wissenschaftliche Mitarbeiterin